youtube stream: Dario Argento - Suspiria
“The Only Thing More Terrifying Than The Last 12 Minutes Of This Film Are The First 92"; verkündete das Kinoplakat von Dario Argentos Suspiria. Als wir unsere Videothek gründeten, gabs Suspiria in Deutschland nicht auf DVD. Heute immer noch nicht. In der Wunschbox, die ich vor dem Laden angeschraubt hatte, fand ich dafür unverhältnismässig oft Wunschzettel, die Dario Argento - Suspiria forderten. Zu Recht! Die hohen Erwartungen, die ein solches Kinoplakat weckt, werden von Suspiria sogar noch übertroffen! Wir erleben einen Ausbruch von Sound, und BILDERN und Wut und Zorn! Suspiria verbindet Horror, ganz aus dem Bauch heraus entwickelt mit Avantgarde. Nie wieder sah ein Horrorfilm so phantastisch aus! Mittlerweile darf Argento leider als einer der Filmemacher gelten, die jahrzehntelang ihrer alten Form hinterher rennen; auf Suspiria aber können wir uns wohl alle einigen! Während der 70er bis hinein in die 80er konnte Argento eine Gemeinschaft von Geeks hinter sich versammeln, die Züge einer Sekte trug. Man erwartete jeden seiner neuesten Filme wie ein Wunder! Überall auf der Welt wurde Argento in einem Atemzug mit den grössten italienischen Regisseuren genannt - nur in Deutschland nicht. Keiner seiner Klassiker war für uns zugänglich, weshalb wir Berliner ins Videodrom gingen, um uns importierte VHS auszuleihen. Um auch Argento sehen zu können! Pünktlich, an meinem 18. Geburtstag, stand ich deshalb im Videodrom (und nicht in der Schule), um eine Mitglieds-Karte machen zu lassen. Wie so viele vor ihm begann Argento als Kritiker und Drehbuch-Autor (er verfasste das Skript für Once_Upon_A_Time_In_The_West). Ab 1970 etablierte er sich dann mit eigenen Filmen im Giallo Bereich. Argentos Karriere begann mit einem unheimlichen Erfolg, der von zwei weiteren noch übertroffen wurde. Wie jeder gute Auteur versuchte er sich auch in fremden Genres, drehte eine Komödie, um wieder zu seinen nervenzerfetzenden Schockern zurückzukehren. Mitte der 70er entschied er sich dafür, seinen Stil zu erweitern. Argento widmete sich dem Übernatürlichen, entdeckte Suspiria de Profundis von Thomas De Quincey aus dem Jahr 1845 und verfasste basierend auf dem Roman Suspiria. Übrigens gemeinsam mit seiner Freundin, der Schauspielerin Daria Nicolodi. Suspiria eröffnet damit, wie eine Ballett-Studentin aus der finsteren Nacht kommt. Sie studiert an der deutschen Tanz-Akademie in Freiburg, einem Ort, an dem die Schülerinnen nachts von Mördern heimgesucht werden. Eine Serie bizarrer Vorfälle gipfelt in der Erkenntnis, das die Gründerin der Schule eine Hexe war. Haben wir es überhaupt mit einer Tanzschule zu tun? Oder befinden wir uns in einem Hexensabbat? Argento hatte seine Giallo Filme vor Suspiria herkömmlich erzählt. Hier entschied er sich, alles das, was wir an konventionellen Strukturen gewohnt sind, zu opfern. Suspiria ist blosse Sensation! Suspiria wirkt wie eine äusserst düstere Erwachsenen-Version der Märchen, die wir als Kinder fürchteten. Ein Film wie ein Albtraum, der auch der Logik eines Traums folgt. Ein Kunstwerk, das ausser Kontrolle gerät! Visuell erscheint Suspiria wie ein barockes Gemälde, wobei auch hier alle Grenzen überschritten werden. Ich denke, Argento verwendete alles, was an Filtern, visuellen Konzepten, Spiegeln und Lichteffekten auf dem Markt war, jagt mit der Kamera dem Geschehen hinterher, gönnt uns keine Pause. Welcher Film war damals so weit seiner Zeit voraus? Berühmt sind die Bilder der Morde, die wie dekadente Arrangements wirken. Gleich zu Beginn fährt die Kamera hinein in den Körper eines ermordeten Mädchens bis zum Herzen, das durchstochen wurde. Überhaupt hat Argento die Mordserie in der Ballettschule an sich wie ein Ballett inszeniert. Splatter wird hier zu Kunst, die unheimlichsten Momente sind gleichermassen auch die betörendsten. Man hat Argento deshalb den Vorwurf gemacht, ein Frauenfeind zu sein: Schöne Frauen werden in atemberaubenden Sets abgestochen. Allerdings spielen in Suspiria fast ausschliesslich Frauen mit und zwar so charismatische Stars wie Jessica Harper, Jon Bennett und Alida Valli, die längst Filmgeschichte geschrieben hatten. Der stilistische Exzess, mit dem Suspiria in der Apokalypse endet, führt uns schliesslich auch vor Augen, dass Argento seinen Stil bis in die Gänze ausgelotet hatte. Ging da noch mehr? Wohl kaum! Immerhin fungiert Suspiria als erster Teil einer Trilogie, die 1980 mit Inferno sowie 2007 mit Mother Of Tears abgeschlossen wurde. Natürlich ist vor allem der Nachfolger noch übertriebener und noch viel weniger an einer Handlung oder gar Logik interessiert. Ein bisschen verstehen wir dadurch auch Argentos Niedergang, denn Mother Of Tears wollte im Grunde keiner mehr sehen. Suspiria aber ist ein einzigartiges filmisches Experiment, dass von Generation zu Generation weitergereicht wurde. Einer der ganz grossen Klassiker in der Geschichte des Kinos!
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