Montag, 15. Januar 2018

youtube stream: F.W. Murnau - Der Letzte Mann

Der alte Mann ist so ungeheuer stolz auf seine Position im Hotel als Türvorsteher, auf seine Uniform mit den goldenen Knöpfen und den breiten Schulterpolstern! Er trägt seine militärischen Aufschläge zur Schau und seine Manschetten. Dort, vor der Front-Tür des Hotels positioniert er, grüsst die Reichen und die Berühmten. Er, der Inbegriff der grossen Tradition des Hotels - bis er im Alter degradiert wird zur demütigenden Position des Begleiters zum WC-Bereich. F.W. Murnaus Klassiker erzählt diese Geschichte in einem der berühmtesten Stummfilme, ja in einem Stummfilm, der diesen Namen voll und ganz verdient! Denn Murnaus Klassiker kommt (fast vollständig) ohne Zwischentitel aus. Die Meister der Stummfilm-Ära waren stolz darauf, ihre Geschichte durch Pantomime und die Arbeit der Kamera zu erzählen. Nie aber hat es einer vor Murnau ganz ohne Zwischentitel versucht! Der Letzte Mann wurde aber nicht nur durch seine fehlenden Zwischentitel und das Spiel von Emil Jannings berühmt. Der Letzte Mann etabliert auch noch Murnaus entfesselte Kamera! Wir erleben Einstellungen, die einem Fahrstuhl folgen oder durch eine Hotel-Lobby gleiten. Einmal scheint die Kamera sogar durch die Glasscheibe des Büros vom Hotel-Manager hindurch zu fliegen! Hier, wie in allen Murnau Filmen gibt es diese technischen Kabinettstückchen zu bewundern! Und seine Charaktere? Nun, sie waren stets das, was sie durch ihre Umgebung wurden. Genau das ist der Schlüssel zum deutschen Expressionismus mit seinen wahnwitzig übertriebenen visuellen Elementen, die uns in einen Albtraum hinein und wieder hinaus führen konnten. Der Letzte Mann aber gehorcht eher traditionellen Erzählmustern. Die Kamera folgt dem Türsteher in fast jeder Einstellung. Im Grunde sehen wir nur das, was er sieht. Umgeben von all diesen eleganten Menschen in der Hotel-Lobby können wir das Selbstvertrauen des Mannes verstehen. Ganz so, als sei er einer von ihnen. In diesen frühen Szenen zeigt Murnaus Kamera den Türsteher von unten. Erhaben wirkt er und immer über allen anderen stehend. Er ist gross, mit einem grossen Bauch. Sein Gesicht wird durch den Bart umrahmt. Dann aber - am nächsten Morgen - erblickt er einen anderen Mann, der seine Arbeit verrichtet. Ganz viel im Leben des Türmannes resultiert aus dem Vergnügen, dem ihm seine respektable Uniform verschafft. Genauso zeigt er sich vor seinen Nachbarn - in seiner glänzenden Uniform. Als man ihm die Uniform nimmt, klaut er sogar eine aus einem Schliessfach, nur, um sich weiterhin den Nachbarn zu zeigen - ganz ohne würde er sich zu Tode schämen. Genau deshalb hat Lotte Eisner Murnaus Film einmal als typisch deutsche Geschichte beschrieben. In keinem anderen Land der Welt würde der Uniform solch ein Stellenwert zugesprochen werden und deshalb könnte Der Letzte Mann nur in Deutschland spielen. In Deutschland hatte die Uniform einen höheren Stellenwert als Gott! Immerhin, in dem Moment, da der Türsteher die Uniform anlegt, ist er nicht länger ein Individuum, sondern Teil einer Organisation (an dieser Stelle darf man gerne das Aufkommen der NSDAP hinein interpretieren). Legt er die Uniform ab, hört er auf zu existieren. Übrigens: Ein einziges Mal benutzt Murnau doch einen Zwischentitel: „Hier sollte der Film eigentlich enden. Im wirklichen Leben würde der unglückliche alte Mann noch kaum etwas anderes zu erwarten haben als den Tod. Doch der Drehbuchautor hatte Mitleid mit ihm und sah ein fast unwahrscheinliches Nachspiel vor.“ Murnau schenkt uns daraufhin einfach ein vollkommen unbefriedigendes Happy Ending. Und Jannings? Nach seinen grossen Rollen der Stummfilmzeit, die ihn zum Weltstar aufsteigen liessen, wirkte er in Nazi-Produktionen mit und unterstützte Hitlers Reich. Nach dem Krieg fiel er in Ungnade. Der Mantel des grossen Stars passte nicht mehr.

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