Samstag, 23. Juni 2018

YOUTUBE STREAM: Luis Bunuel - Un Chien Andalou


Einmal hat Luis Bunuel die Frage beantwortet, was er täte, hätte er nur noch 20 Jahre zu leben. Er entschied sich, jeden Tag zwei Stunden aktiv zu verbringen und die übrigen 22 im Traum. Träume nähren das Werk Bunuels. Immer triumphierte die Logik von Träumen über denen der Realität - eine Freiheit, die sein Werk unverwechselbar macht. Seinen ersten Film inszenierte er gemeinsam mit dem notorischen Surrealisten Salvadore Dali. Weder der Titel, noch der ganze Film ergeben irgendeinen Sinn: Un Chien Andalou - Ein andalusischer Hund. Er avancierte zum berühmtesten Kurzfilm aller Zeiten und jeder, der ein Interesse für das Kino hegt, sollte ihn früher oder später ansehen. Mindestens ein Mal (und versuch gar nicht erst, Un Chien Andalou auf Netflix & Konsorten zu streamen - natürlich gibt's ihn dort nicht). Dali und Bunuel filmten in der Erwartung, einen gesellschaftlichen Schock auszulösen. Zum ersten Mal versuchten Film-Regisseure nicht, ihr Publikum zufrieden zu stellen, sondern die Leute zu verunsichern. Der Schock wirkt sogar heute noch, obwohl viele Techniken aus Un Chien Andalou selbstverständlich vom Mainstream Kino aufgegriffen wurden. Stellen wir uns einmal vor, wir lebten im Paris der 20er als Teil der "verlorenen Generation". Ein Leben von grenzenloser Freiheit! Gibt es eine Verbindung von den Surrealisten damals zu David_Lynch oder Punk? Na klar, wobei Bunuel später betonte, Surrealisten sind keine Terroristen. Ihre Waffen sind keine Knarren, sondern der SKANDAL. Der Skandal von Un Chien Andalou gereichte zum Mythos. Immerhin, es war ein "Indie" Film, finanziert ohne ein Studio mit geringem Budget. In Bunuels Aufzeichnungen können wir lesen, wie er eine Weile bei Dali verbrachte und ihm von einem Traum erzählte: Wie der Mond von einem Rasiermesser zerteilt wird. Als ob das Messer durch ein Auge fährt... Daraus sollte ein Film entstehen mit der Methode, ein schockierendes Bild an das nächste zu setzen. Dem Bild des Mondes folgt das, wie ein Mann mit einem Rasiermesser durch das Auge einer Frau fährt. Keines der Bilder bedurfte einer Erklärung - genauso wenig wie wir uns darauf einen Reim bilden können. Einfach zurücklehnen und wirken lassen! Dann kriechen Ameisen über eine menschliche Hand (einem Traum Dalis folgend). Wir sehen einen Transvestiten auf einem Fahrrad, zwei lebensgrosse Statuen im Sand undsoweiterundsofort... Keine Erzählung verbindet diese Elemente; es gibt keinen "link". Und doch; wir versuchen es immer wieder, etwas zu verknüpfen! Was wurde nicht alles hinein interpretiert: Freud, Marx oder Carl Gustav Jung. Bunuel soll darüber nur gelacht haben. Obwohl uns jeder andere Film lehrt, Bedeutungen zu finden, gilt das doch nicht für Un Chien Andalou. Beispielweise die Szene, in der eine Schauspielerin aus dem Fenster blickt. Schnitt. Der Transvestit fällt tot vom Rad. Schnitt. Jeder mag glauben, die Schauspielerin würde die Leiche ansehen - doch ist das so? Oder der Mann mit seinen Klavieren auf denen Priester und ein tote Esel thronen. Stellen die Klaviere eine Reaktion dar, weil der Mann gerade von der Frau mit dem Tennis-Schläger zurückgewiesen wurde? Etwa eine sexuelle Metapher? Doch auch hier gilt: Keine Verbindung. Während wir Un Chien Andalou ansehen, sollten wir weniger auf den Film als auf uns selbst achten. Wir NEHMEN AN, es würde eine Geschichte erzählt. Was aber, wenn all diese Figuren keine PROTAGONISTEN sind, sondern nur MODELLE? Un Chien Andalou ist Gift für unsere Vorerwartungen: Frustrierend, verstörend, uns verrückt machend. Scheinbar ohne Absicht und Zweck. Mit ironischem Humor und der freundlichsten Absicht, den Zuschauer zu beleidigen. Eine schöne Formübung, die beweist, dass Kunst niemals irgendwelchen Regeln gehorchen sollte. Verweigert man jegliche Restriktion, bleibt Film am Leben und erstarrt nicht zur kulturellen Mumie. In diesem Sinne haben die Surrealisten ihren Krieg gewonnen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen