Our Daily Free Stream: Jacques Rivette - La Belle Noiseuse (Edit).
Our Daily Free Stream: Jacques Rivette - La Belle Noiseuse (Edit). Zum
Tod des Regisseurs Jacques Rivette, vielleicht DEM Begründer der
Nouvelle Vague. - Frenhofer, der grosse Künstler, hat seit zehn Jahren
nichts mehr gemalt. Er warf alles hin während der Arbeit an seinem
Meisterwerk, das er La Belle Noiseuse nennen wollte. Sein Model: Die
eigene Frau Elizabeth, die Inspiration für den erfolgreichsten Teil von
Frenhofers Karriere. Zuerst, so Elizabeth, malte Frenhofer sie, weil sie
ihn liebte. Zum Schluss, so führt sie aus, weil er sie liebte. Dann
hörte er auf, fürchtend, das Werk würde diese Liebe zerstören. Frenhofer
sieht nicht das Äussere, er stellt das Innere seiner Models dar.
Knochen, Sehnen, die Seele. Eines Tages klopfen drei Besucher an die Tür
des Chateaus, in dem Frenhofer noch immer mit Elizabeth zurückgezogen
lebt. Ein Sammler, ein junger Maler und dessen Freundin Marianne.
Marianne ist distanziert, unnahbar und von starkem Willen. Während des
gemeinsamen Abendessens blickt Frenhofer Marianne an - und dieser Blick
bezeichnet ihre gesamte Beziehung. Marianne spürt das, sie will weg von
ihm, denn sie ist sich der Gefühle, die hinter Frenhofers Blick stehen,
bewusst: Er wird wieder anfangen, zu malen. Jacques Rivettes Film La
Belle Noiseuse ist der beste Film, den ich über die Entstehung von Kunst
jemals sah! Es ist auch der grösste Film über die schmerzhafte
Beziehung eines Künstlers zu seiner Muse. Rivettes Film hat eine
Laufzeit von über vier Stunden. Er schnitt zusätzlich eine gekürzte
Divertimento Fassung - doch wozu? Die Grösse von La Belle Noiseuse
besteht darin, Zeit mit der Entstehung von Kunst zu verbringen - und mit
dem Aufkeimen, schliesslich der Zerstörung von Leidenschaft. Frenhofer
wird gespielt von Michel Piccoli, dessen Augen andere Schauspieler
durchdringen können. Mit seiner hohen Stirn wirkt er intelligent, doch
wir spüren; es ist eine furchtbare Intelligenz. Emmanuelle Béart ist
eine vollkommene Schönheit mit tiefen Augen, vollen Lippen - und
beeindruckender Willenskraft. Wir können nachvollziehen, was Frenhofer
in Marianne sieht. Seine Frau Elizabeth (Jane Birkin) versteht es auch.
Sie warnt Marianne, Frenhofer nicht ihre Augen malen zu lassen. Das Bild
könnte dem Model die Lebenskraft entziehen (Wir bemerken einen Hauch
Oscar Wilde in dieser Idee). So viel zum Plot, der uns aber an sich
nicht weiter beschäftigt. Die stärksten Szenen des Films, sie
konzentrieren sich ganz auf das Kreieren eines Kunstwerks. In seiner
gemauerten Halle, seinem Studio, beginnt Frenhofer, Marianne zu
skizzieren. Wir blicken ihm dabei über die Schulter (was Rivette uns in
sehr langen Einstellungen ermöglicht). Ein körperlicher Prozess, wie er
obsessiv seine Stifte, Pinsel und Farben sortiert. Die ersten Striche,
dann Öl. Frenhofer weist Marianne eine Garderobe zu; sie versteht, legt
ihren Mantel ab und wird für die nächsten vier Stunden nackt sein.
Zunächst betrachten wir Emmanuelle Béart als Frau, dann als Modell.
Langsam sehen wir das, was Frenhofer meint: Ihr Innerstes, ihre Essenz,
ihr Sein. Er bewegt ihre Arme und Beine wie die einer Puppe. Sie
beschwert sich über eingeschlafene Beine und verlangt nach einer
Zigarette. Frenhofer nimmt sie ihr weg und biegt sie erneut in Position.
Hört es sich langweilig an, einen Mann einfach beim Malen zuzusehen?
Mitnichten! Spannung wird langsam aufgebaut. Ein Kampf um den stärkeren
Willen entwickelt sich. Marianne ist eine Zumutung, eine Belästigung.
Elizabeth übersetzt "noiseuse" mit "nutty". Marianne ist verrückt. Das
ist es, was Frenhofer will! Sie beginnt zu verstehen und willigt ihrer
Determinierung zu. Nun ist es Marianne, die die Arbeit antreibt. Am Tag
als La Belle Noiseuse vollendet ist, bekommen wir es nicht zu sehen.
Marianne beschreibt, wie sie darin etwas sah, kalt und trocken - sich
selbst. Das muss uns reichen. Nachts schleicht Elizabeth ins Atelier und
begreift: Sie markiert das Bild mit einem Kreuz. Es bezeichnet
Frenhofers Tod. Stell dir diese Atmosphäre nun vor mit den Geräuschen,
die Rivette verwendet im alten Schloss. Wir hören den Wind in den
Wäldern draussen und in den alten Mauern, Fusstritte, das Zuschlagen
einer alten Tür. Es ist kein Zufall, dass La Belle Noiseuse wie ein
Spukfilm wirkt. Elizabeth erwähnt, dass es in den alten Mauern spukt.
Wir hören das Kratzen der Stifte auf dem Papier (und das zunehmend
lauter). Während einer Szene sehen wir Marianne unter einem Kreuz
gebeugt. Zunächst weint sie leise, dann beginnt sie zu lachen - immer
stärker. Das Kratzen des Stifts dabei, wir meinen es immer noch zu
hören, obwohl Frenhofer ihn beiseite gelegt hat. Man sagt, die Nouvelle
Vage hätte nur stattgefunden wegen ihm: Jacques Rivette. Er selbst war
nie so berühmt wie seine Weggefährten. Dafür gestalteten sich Rivettes
Filme als zu lang und kompliziert. In La Belle Noiseuse sehe ich jedoch
nicht den geringsten Grad an Schwierigkeit! Ich wünsche mir den Film
genauso lang wie er ist - nicht eine Minute weniger! Ich habe mitgefühlt
beim Kampf im Atelier, bei der entstehenden Bindung. Piccoli verkörpert
exakt Frenhofers Vorstellungen und bedarf dafür keiner Worte. Béart ist
von ätherischer Schönheit mit dem Wahnsinn, der Frenhofer an Marianne
fesselt. Ist die Kälte in La Belle Noiseuse, die Marianne darin sieht,
das, was Frenhofer für sie erhoffte? Frenhofer wird das Werk nicht
zerstören, jedoch auch nicht ausstellen. Aufschluss gibt die Figur der
Elzabeth, verkörpert durch Birkin: Gab es je Momente, da sie wünschte,
Frenhofer hätte beider grösstes Kunstwerk vollendet? Sie weniger
geliebt? Es ist schlicht so, dass sie die Grösse ihres Mannes erkennt.
Elizabeth glaubt an diese Grösse - das erklärt alle unaufgelösten Fragen
in La Belle Noiseuse (wovon es einige gibt).
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