Dienstag, 26. September 2017

youtube stream: Roman Polanski - Chinatown


"Are you alone?" - "Isn't everybody?"; antwortet der Privatdetektiv. Die Helden des Film Noir waren immer einsam. Sie decken die Geheimnisse von Fremden auf, während sie vor ihren eigenen davonrennen. Das ist der Typus des Film Noir: Ein Mann, der die ganze menschliche Tragödie besetzt, um zu leben. Die klassischen Helden des Film Noir sind aber nicht zwingend kalt. Sie tarnen sich unter der Maske des Romantikers, die es ihnen erlaubt, sich in schlechte Frauen zu verlieben. Böse Frauen. Sie sind viel sensibler und auch intelligenter als es an sich nötig wäre für ihren Job. Es war natürlich Bogart, der die Regeln dieses Typus festlegte und verkörperte. Für nachfolgende Schauspieler war es dann bequem, sich diesem Korsett einfach zu beugen. So als würden sie sich einen Pullover überziehen. Grosse Schauspieler aber folgen Bogarts Regeln nicht einfach nur! Sie füllen sie aus und erwecken sie zum Leben! Jack Nicholson als J. J. Gittes gelingt genau das: Er folgt Bogart, gleichzeitig aber agiert er viel netter als das Vorbild. Nicholson spielt einen netten und traurigen Mann. Wer erinnert sich nicht an das berühmte Pflaster auf Nicholsons Nase (die Polanski selbst aufschlitzte)? Ist Nicholsons Gittes ein harter Hund? Ich denke nicht. Im Gegenteil, er wirkt eher passiv. “I’m in matrimonial work"; beschreibt sich Gittes. Was bedeutet das? Was ist das für ein Wort? Gittes Metier ist der Ehebruch. Vor allem beschattet er Ehepartner. Klar, Gittes kann auch mal roh agieren, die meiste Zeit aber empfinden wir ihn als sympathisch. Wie alle Privatdetektive muss er manchmal auch wie ein Schwein handeln. Gittes aber fühlt sich in dieser Rolle überhaupt nicht wohl. Einmal fragt Gittes den Millionär Noah Cross (John Huston), wozu er überhaupt noch reicher werden müsste? Könnte er dann noch besser essen? “The future, Mr. Gitts", antwortet Cross, der sich Gittes Namen nie richtig merkt. Alles beginnt damit, dass er von einer Frau beauftragt wird, aufzudecken, dass ihr Ehemann sie betrügt. Die Spur führt ihn zu einem ausgetrockneten Fluss und der Leiche von Mr. Mulwray, der scheinbar ertrank. Dann trifft er die echte Mrs. Mulwray (Faye Dunaway). Sie lügt und langsam glaubt Gittes an einen grösseren Zusammenhang - nicht bloss an einen profanen Ehebruch... Hat es etwas mit dem San Fernando Valley zu tun, wo das Wasser künstlich abgelenkt wird, um die Orangen-Ernte zu vernichten? Gittes wandelt sich. Er wird zu einem Mann, der den Dingen auf den Grund gehen will. Einfach, weil er den allgegenwärtigen Lügen überdrüssig ist! Und wie genau steht er zu Evelyn Mulwray, die so kühl agiert, aber in den Momenten, da ihr Vater erwähnt wird, aufeinmal fragil und zerbrechlich wirkt? Gittes glaubt, er liebt sie. Dann fühlt er sich hintergangen. Er denkt, sie versteckt die Geliebte ihres Mannes. Sie gesteht, es sei ihre Schwester. Dann wiederum erzählt sie ihm, es sei ihre Tochter. Ihr Vater, der Millionär, ist ein Mann von süsslichem Charme und kleinen gemeinen Augen. Cross erklärt; “Of course I’m respectable. I’m old" und meint damit, dass sogar Politiker irgendwann rechtschaffen erscheinen. Eine Frage des Alters. Polanskis Kunstgriff besteht darin, den Millionär Cross mit dem Vater des Film Noirs, John Huston, zu besetzen. Das dürfte der Traum jedes postmodernen Filmemachers sein: Ein lebendes Zitat! Wie jeder Film Noir endet auch Chinatown mit einer Kette von Enthüllungen. Die Beziehungen unter den Charakteren sind doch ganz anders als erwartet, Gerechtigkeit erfolgt - oder auch nicht. Chinatown war damals wie ein neuer Start in Hollywood für Polanski. Nach der Ermordung seiner Frau Sharon Tate, floh er nach Europa, für Chinatown kehrte er 1974 zurück. Das schönste Kompliment, dass wir Chinatown machen können, ist doch die Tatsache, dass dieser "Neo-Noir" sich heute nahtlos einfügt in die grossen Klassiker des Genres. Wie war das noch: Endete die klassische Phase des Film Noirs wirklich 1959? Nicht 1974?

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