youtube stream: Roman Polanski - Chinatown
"Are
you alone?" - "Isn't everybody?"; antwortet der Privatdetektiv. Die
Helden des Film Noir waren immer einsam. Sie decken die Geheimnisse von
Fremden auf, während sie vor ihren eigenen davonrennen. Das ist der
Typus des Film Noir: Ein Mann, der die ganze menschliche Tragödie
besetzt, um zu leben. Die klassischen Helden des Film Noir sind aber
nicht zwingend kalt. Sie tarnen sich unter der Maske des Romantikers,
die es ihnen erlaubt, sich in schlechte Frauen zu verlieben. Böse
Frauen. Sie sind viel sensibler und auch intelligenter als es an sich
nötig wäre für ihren Job. Es war natürlich Bogart, der die Regeln dieses
Typus festlegte und verkörperte. Für nachfolgende Schauspieler war es
dann bequem, sich diesem Korsett einfach zu beugen. So als würden sie
sich einen Pullover überziehen. Grosse Schauspieler aber folgen Bogarts
Regeln nicht einfach nur! Sie füllen sie aus und erwecken sie zum Leben!
Jack Nicholson als J. J. Gittes gelingt genau das: Er folgt Bogart,
gleichzeitig aber agiert er viel netter als das Vorbild. Nicholson
spielt einen netten und traurigen Mann. Wer erinnert sich nicht an das
berühmte Pflaster auf Nicholsons Nase (die Polanski selbst
aufschlitzte)? Ist Nicholsons Gittes ein harter Hund? Ich denke nicht.
Im Gegenteil, er wirkt eher passiv. “I’m in matrimonial work";
beschreibt sich Gittes. Was bedeutet das? Was ist das für ein Wort?
Gittes Metier ist der Ehebruch. Vor allem beschattet er Ehepartner.
Klar, Gittes kann auch mal roh agieren, die meiste Zeit aber empfinden
wir ihn als sympathisch. Wie alle Privatdetektive muss er manchmal auch
wie ein Schwein handeln. Gittes aber fühlt sich in dieser Rolle
überhaupt nicht wohl. Einmal fragt Gittes den Millionär Noah Cross (John
Huston), wozu er überhaupt noch reicher werden müsste? Könnte er dann
noch besser essen? “The future, Mr. Gitts", antwortet Cross, der sich
Gittes Namen nie richtig merkt. Alles beginnt damit, dass er von einer
Frau beauftragt wird, aufzudecken, dass ihr Ehemann sie betrügt. Die
Spur führt ihn zu einem ausgetrockneten Fluss und der Leiche von Mr.
Mulwray, der scheinbar ertrank. Dann trifft er die echte Mrs. Mulwray
(Faye Dunaway). Sie lügt und langsam glaubt Gittes an einen grösseren
Zusammenhang - nicht bloss an einen profanen Ehebruch... Hat es etwas
mit dem San Fernando Valley zu tun, wo das Wasser künstlich abgelenkt
wird, um die Orangen-Ernte zu vernichten? Gittes wandelt sich. Er wird
zu einem Mann, der den Dingen auf den Grund gehen will. Einfach, weil er
den allgegenwärtigen Lügen überdrüssig ist! Und wie genau steht er zu
Evelyn Mulwray, die so kühl agiert, aber in den Momenten, da ihr Vater
erwähnt wird, aufeinmal fragil und zerbrechlich wirkt? Gittes glaubt, er
liebt sie. Dann fühlt er sich hintergangen. Er denkt, sie versteckt die
Geliebte ihres Mannes. Sie gesteht, es sei ihre Schwester. Dann
wiederum erzählt sie ihm, es sei ihre Tochter. Ihr Vater, der Millionär,
ist ein Mann von süsslichem Charme und kleinen gemeinen Augen. Cross
erklärt; “Of course I’m respectable. I’m old" und meint damit, dass
sogar Politiker irgendwann rechtschaffen erscheinen. Eine Frage des
Alters. Polanskis Kunstgriff besteht darin, den Millionär Cross mit dem
Vater des Film Noirs, John Huston, zu besetzen. Das dürfte der Traum
jedes postmodernen Filmemachers sein: Ein lebendes Zitat! Wie jeder Film
Noir endet auch Chinatown mit einer Kette von Enthüllungen. Die
Beziehungen unter den Charakteren sind doch ganz anders als erwartet,
Gerechtigkeit erfolgt - oder auch nicht. Chinatown war damals wie ein
neuer Start in Hollywood für Polanski. Nach der Ermordung seiner Frau
Sharon Tate, floh er nach Europa, für Chinatown kehrte er 1974 zurück.
Das schönste Kompliment, dass wir Chinatown machen können, ist doch die
Tatsache, dass dieser "Neo-Noir" sich heute nahtlos einfügt in die
grossen Klassiker des Genres. Wie war das noch: Endete die klassische
Phase des Film Noirs wirklich 1959? Nicht 1974?
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