youtube stream: Michelangelo Antonioni - L'Eclisse
Berühmt
wurde Michelangelo Antonioni mit einem kurzen Dialog über die Liebe.
Sag mir, "Ich liebe dich". - Ich liebe dich. - Sag mir, "Ich liebe dich
nicht". - Ich liebe dich nicht. So, als werfe man eine Münze. Mit Liebe
hat diese Diskussion natürlich nichts zu tun. Es war die Kritikerin
Pauline Kael, die Antonioni entdeckte. Sie schrieb, dass seine
Charaktere einfach zu flach sind, um es ertragen, wirklich allein zu
sein. Lieben können sie auch nicht. Es besteht nicht einmal die
Möglichkeit, sich zu lieben. In Antonionis Welt versucht jeder, seiner
Langeweile zu entkommen. Man nähert sich einander an, stösst sich wieder
ab. Und von vorn. Antonionis Charaktere sind auf der wenig
ertragreichen Suche nach Vergnügen - aber sie finden Leere und
Krankheit. Die Krankheit der Seele. Es sind faule, dekadente, reiche
Menschen. Nur das Vergnügen lenkt sie ab von der Leere ihrer eigenen
Existenz. Sex hält sie alle beisammen. Antonioni revolutionierte das
Kino mit einer einfachen Tatsache: In seinen Werken passierte gar
nichts. Wir erleben eine Suche, aber ohne Auflösung. "Antonioniennui",
so diese Mode der 60er. Antonionis Existenzen im Schwebezustand schienen
während der frühen 60er bestens zu den Beatniks und Disharmonien des
modernen Jazz zu passen. Und mal ehrlich, gibt es einen Filmemacher, der
"hipster" ist als Antonioni? Aber warum berühren uns eigentlich diese
gelangweilten Menschen mit ihrem Lebensstil, jenseits unserer
Vorstellungskraft (zumindest in der Nachbarschaft unserer Videothek,
hier in der Reichenberger Strasse)? Antonioni hat abendfüllende Ideen
fabriziert, keinen fertigen Filme, so ein Vorurteil. Doch wer würde
bestreiten, wie viel Leidenschaft und Klarheit in diesen stummen
Hilferufen liegt? Und was ist L'Eclisse anderes? Antonionis Charaktere
sind Parasiten. Dank ihres Geldes sind sie nicht abhängig von Arbeit
oder Lebenserhalt. Sie tragen keine Verantwortung, verfolgen keine Ziele
und keinen Zweck. Stattdessen ist es ihnen ein Bedürfnis, die eigene
innere Leere zur Schau zu stellen. Sicher, man kann auch reich und
glücklich sein - dafür brauchts allerdings eine Seele und Interessen.
Antonionis Charaktere aber existieren in einer moralischen Wüste. Wer
weiss, vielleicht sieht Rom in L'Eclisse auch deshalb so aus wie nach
dem atomaren Erstschlag? Abends als auch tagsüber menschenleer.
Mittendrin Monica Vittis Victoria, die eine Affäre mit Piero (Alain
Delon), diesem nervösen Börsenmakler, eingeht, der wiederum das Geld für
Victorias Mutter (Lilla Brignone) verdient. Eine hektische kleine
"Liebes"geschichte, die an sich nicht der Rede wert ist. Warum gibt es
eigentlich keine solchen Filme mehr wie L'Eclisse? Ich denke, da wir
heute andere Fragen stellen. Niemand fragt mehr nach dem Sinn des
Lebens, stattdessen nach einem bestimmten "Lifestyle".
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