Dienstag, 17. Oktober 2017

youtube stream: Michelangelo Antonioni - L'Eclisse

 Berühmt wurde Michelangelo Antonioni mit einem kurzen Dialog über die Liebe. Sag mir, "Ich liebe dich". - Ich liebe dich. - Sag mir, "Ich liebe dich nicht". - Ich liebe dich nicht. So, als werfe man eine Münze. Mit Liebe hat diese Diskussion natürlich nichts zu tun. Es war die Kritikerin Pauline Kael, die Antonioni entdeckte. Sie schrieb, dass seine Charaktere einfach zu flach sind, um es ertragen, wirklich allein zu sein. Lieben können sie auch nicht. Es besteht nicht einmal die Möglichkeit, sich zu lieben. In Antonionis Welt versucht jeder, seiner Langeweile zu entkommen. Man nähert sich einander an, stösst sich wieder ab. Und von vorn. Antonionis Charaktere sind auf der wenig ertragreichen Suche nach Vergnügen - aber sie finden Leere und Krankheit. Die Krankheit der Seele. Es sind faule, dekadente, reiche Menschen. Nur das Vergnügen lenkt sie ab von der Leere ihrer eigenen Existenz. Sex hält sie alle beisammen. Antonioni revolutionierte das Kino mit einer einfachen Tatsache: In seinen Werken passierte gar nichts. Wir erleben eine Suche, aber ohne Auflösung. "Antonioniennui", so diese Mode der 60er. Antonionis Existenzen im Schwebezustand schienen während der frühen 60er bestens zu den Beatniks und Disharmonien des modernen Jazz zu passen. Und mal ehrlich, gibt es einen Filmemacher, der "hipster" ist als Antonioni? Aber warum berühren uns eigentlich diese gelangweilten Menschen mit ihrem Lebensstil, jenseits unserer Vorstellungskraft (zumindest in der Nachbarschaft unserer Videothek, hier in der Reichenberger Strasse)? Antonioni hat abendfüllende Ideen fabriziert, keinen fertigen Filme, so ein Vorurteil. Doch wer würde bestreiten, wie viel Leidenschaft und Klarheit in diesen stummen Hilferufen liegt? Und was ist L'Eclisse anderes? Antonionis Charaktere sind Parasiten. Dank ihres Geldes sind sie nicht abhängig von Arbeit oder Lebenserhalt. Sie tragen keine Verantwortung, verfolgen keine Ziele und keinen Zweck. Stattdessen ist es ihnen ein Bedürfnis, die eigene innere Leere zur Schau zu stellen. Sicher, man kann auch reich und glücklich sein - dafür brauchts allerdings eine Seele und Interessen. Antonionis Charaktere aber existieren in einer moralischen Wüste. Wer weiss, vielleicht sieht Rom in L'Eclisse auch deshalb so aus wie nach dem atomaren Erstschlag? Abends als auch tagsüber menschenleer. Mittendrin Monica Vittis Victoria, die eine Affäre mit Piero (Alain Delon), diesem nervösen Börsenmakler, eingeht, der wiederum das Geld für Victorias Mutter (Lilla Brignone) verdient. Eine hektische kleine "Liebes"geschichte, die an sich nicht der Rede wert ist. Warum gibt es eigentlich keine solchen Filme mehr wie L'Eclisse? Ich denke, da wir heute andere Fragen stellen. Niemand fragt mehr nach dem Sinn des Lebens, stattdessen nach einem bestimmten "Lifestyle".

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