Donnerstag, 12. Oktober 2017

youtube stream: Yasujiro Ozu - Early Summer


Von allen Regisseuren ist mir Ozu am liebsten! Im Grunde war er nicht nur bis zu seinem Tod, sondern bis heute kaum exportierfähig in den Westen. Ist Ozu zu japanisch für unsere Augen? Quatsch! Die Ironie des Schicksals will es so, dass ausgerechnet sein Universum aus Eltern und Kindern der Mittelschicht, seine Themen der Heirat und des Familienlebens eines der universalsten ist! Mach mal den Test: Sieh dir einen Hollywood Klassiker aus derselben Zeit an und danach einen Ozu Film. Welcher steht uns näher? Bis zu seinem Tod, 1963, hatte Ozu 54 Filme fertiggestellt. In unserer Ozu Reihe im DVD Archiv der Filmkunstbar Fitzcarraldo findest du nicht nur sein berühmtes Spätwerk, sondern auch echte Schätze. Vorkriegs Ozu! DVDs, die ich tatsächlich mal während eines Urlaubs in Beijing kaufte. Es handelt sich dabei um gute DVD Fassungen vom chinesischen Label Boying mit englischen Untertiteln. Ozu gereichte es scheinbar zum Vergnügen, seinen Filmen ganz ähnliche Titel zu verpassen. "Early Summer" - es besteht Verwechslungsgefahr! Die Titel beziehen sich jeweils auf die Jahreszeit im Leben der Charaktere - und die Charaktere haben stets ähnliche Züge und werden von denselben Schauspielern verkörpert. Wohl bemerkt: Sie sind ähnlich, aber nicht gleich! Ich finde, dass Ozus berühmter Stil seine Werke sogar noch zugänglicher macht - nicht weniger, wie man erwarten sollte. Ozu erzählt seine Geschichten mit transparenter Aufrichtigkeit. In Early Summer - wie in anderen Ozu Filmen auch - steht das Thema Heirat im Vordergrund. Heirat wird von einigen Figuren gewünscht, von anderen aber nicht. Es ist Noriko (Setsuko Hara), die mit 28 Jahren noch unverheiratet ist und auch keinen Ehemann wünscht. Sämtliche Figuren im Film insistieren, Noriko aber verteidigt sich souverän und selbstbewusst. Dann - wiederum ganz selbstbestimmt - entscheidet sie doch zu heiraten. Noriko kennt ihren Mann im Grunde nicht und liebt ihn auch nicht. Weiss Noriko überhaupt, was Liebe bedeutet? Die romantische Liebe kennt sie nicht und trotzdem trifft sie ihre Entscheidung aus Liebe. Noriko opfert sich auf für die unglückliche Mutter ihres zukünftigen Mannes. Ein Motiv, dass sich durch alle Ozu Filme zieht: Eltern opfern sich für ihre Kinder auf und Kinder für ihre Eltern. Nichts ist daran esoterisch! Erinnere dich mal, wann du zum letzten Mal im Kino geweint hast? Wahrscheinlich ist es lange her, oder? Early Summer ist einer dieser Filme, die dich zum Weinen bringen werden. Ein Film, der sich von seinen (filmischen) Wurzeln befreit und direkt in dein Herz vordringt. Wenn Noriko sich entscheidet, das Haus ihrer Familie, ja Tokyo zu verlassen, sollten Taschentücher bereit liegen... Vergleicht man die frühen Ozu Filme mit den späten, fällt auf, dass Ozu im Frühwerk viel öfter die Kamera bewegt, schneidet oder auch mal über die Schultern seiner Figuren filmt. Im Spätwerk bleibt die Kamera statisch. Er filmt aus einer niedrigen Perspektive heraus, auf Augenhöhe seiner Protagonisten. Ich denke, Ozu benutzt eine Konstruktion, die es ihm erlaubt, seine Kamera auf dieser Höhe zu positionieren: Der Höhe einer Figur, die auf einer Tatami Matte kniet. Jede Szene stellt einen Cut dar. Ozu eliminiert alles, was stört: Kamerafahrten und Schwenks. Die Schnitte setzt er nach der Szene und leitet dann zu folgenden über. Eine Szene endet dann, wenn die Hauptfigur das Bild verlässt. Manchmal verweilt Ozu anschliessend noch im Raum. Gerne benutzt Ozu sogenannte "Pillow Shots"; führt Landschaften, architektonische Details oder einzelne Gegenstände vor. Am liebsten seine Teekanne. Oder Züge. Ozu muss Züge geliebt haben! Ozu folgt stets der Regel, dass die Kamera hinter einer imaginären Linie bleibt. Bewegt sie sich, bedarf es einer Erklärung. Die Charaktere treten links auf und gehen rechts ab. Oder andersherum. Es ist interessant, wie viele Kinoregeln Ozu mit diesem Verfahren ignoriert! Oder die Fokussierung auf seiner Teekanne! Sie taucht in einer Ecke des Raumes auf, im nächsten Moment steht sie in einer anderen Ecke. Ozu verweigert die Regeln der Kontinuität. Die Kanne hat sich einfach selbständig bewegt. In "normalen" Filmen gilt, dass die Charaktere einander ansehen, während sie sich unterhalten. Nicht so bei Ozu. Bei ihm geht das so: Während zwei Figuren miteinander sprechen, schauen beide geradewegs in die Kamera. Was erreicht er damit? Er holt uns, die Zuschauer, mitten ins Geschehen hinein! Ozu interessiert sich überhaupt nicht für Unterscheidung zwischen Close-Up, Medium Shot oder Master Shot. Er interessiert sich einzig für die Bildkomposition an sich. Alles muss perfekt sein! Jedes Bild könnte man rahmen! Bei Ozu wird der Bilderrahmen einfach ersetzt durch eine Wand oder einen Vorhang oder ein Banner. Er liebt es, Bilder im Hintergrund zu zeigen und viele von ihnen hat er selbst gemalt. Wer zum ersten Mal einen Ozu Film sieht, kann unmöglich den ganzen Reichtum seiner Kunst auf Anhieb entdecken. Als wir während eines Videoabends Early Summer ansahen, glaubte ein Mädchen, Ozu Filme seien symbolisch, etwa wie das Kabuki Theater (was im Film ja vorkommt). Falls Early Summer aber nicht symbolisch ist - wäre der Film nicht schlicht zu simpel als das er einer Diskussion bedürfte? Doch dann, nach einer Weile waren wir überwältigt davon, wie viel es zu entdecken gibt! Warum ist es ein so angenehmes Gefühl, Early Summer zu sehen? Nun, wenn die Protagonisten essen, dann geniessen sie. Sie spazieren am Meer entlang, sitzen in der Sonne. Und sie geniessen es. Der teure Kuchen - wie gut muss der schmecken! Oder der Tee aus der schönen Kanne! Oft fällt der Satz, wie schnell die Zeit verinnt. Es ist die Grossmutter, die betont, wie glücklich sie immer waren, doch sollte man nie zuviel vom Leben erwarten! Ozu Filme handeln von der Zeit an sich. Early Summer mag vertraut wirken und doch ist er einzigartig! Jeder der Charaktere wird genaustens beobachtet! Ach, ich könnte ewig weiterschreiben - denn ist es nicht so, dass jede ernsthafte Entedeckungsreise in die Welt des Films irgendwann bei Ozu ankommen muss?

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