youtube stream: Yasujiro Ozu - Early Summer
Von allen Regisseuren ist mir Ozu am liebsten! Im Grunde war er nicht
nur bis zu seinem Tod, sondern bis heute kaum exportierfähig in den
Westen. Ist Ozu zu japanisch für unsere Augen? Quatsch! Die Ironie des
Schicksals will es so, dass ausgerechnet sein Universum aus Eltern und
Kindern der Mittelschicht, seine Themen der Heirat und des
Familienlebens eines der universalsten ist! Mach mal den Test: Sieh dir
einen Hollywood Klassiker aus derselben Zeit an und danach einen Ozu
Film. Welcher steht uns näher? Bis zu seinem Tod, 1963, hatte Ozu 54
Filme fertiggestellt. In unserer Ozu Reihe im DVD Archiv der
Filmkunstbar Fitzcarraldo findest du nicht nur sein berühmtes Spätwerk,
sondern auch echte Schätze. Vorkriegs Ozu! DVDs, die ich tatsächlich mal
während eines Urlaubs in Beijing kaufte. Es handelt sich dabei um gute
DVD Fassungen vom chinesischen Label Boying mit englischen Untertiteln.
Ozu gereichte es scheinbar zum Vergnügen, seinen Filmen ganz ähnliche
Titel zu verpassen. "Early Summer" - es besteht Verwechslungsgefahr! Die
Titel beziehen sich jeweils auf die Jahreszeit im Leben der Charaktere -
und die Charaktere haben stets ähnliche Züge und werden von denselben
Schauspielern verkörpert. Wohl bemerkt: Sie sind ähnlich, aber nicht
gleich! Ich finde, dass Ozus berühmter Stil seine Werke sogar noch
zugänglicher macht - nicht weniger, wie man erwarten sollte. Ozu erzählt
seine Geschichten mit transparenter Aufrichtigkeit. In Early Summer -
wie in anderen Ozu Filmen auch - steht das Thema Heirat im Vordergrund.
Heirat wird von einigen Figuren gewünscht, von anderen aber nicht. Es
ist Noriko (Setsuko Hara), die mit 28 Jahren noch unverheiratet ist und
auch keinen Ehemann wünscht. Sämtliche Figuren im Film insistieren,
Noriko aber verteidigt sich souverän und selbstbewusst. Dann - wiederum
ganz selbstbestimmt - entscheidet sie doch zu heiraten. Noriko kennt
ihren Mann im Grunde nicht und liebt ihn auch nicht. Weiss Noriko
überhaupt, was Liebe bedeutet? Die romantische Liebe kennt sie nicht und
trotzdem trifft sie ihre Entscheidung aus Liebe. Noriko opfert sich auf
für die unglückliche Mutter ihres zukünftigen Mannes. Ein Motiv, dass
sich durch alle Ozu Filme zieht: Eltern opfern sich für ihre Kinder auf
und Kinder für ihre Eltern. Nichts ist daran esoterisch! Erinnere dich
mal, wann du zum letzten Mal im Kino geweint hast? Wahrscheinlich ist es
lange her, oder? Early Summer ist einer dieser Filme, die dich zum
Weinen bringen werden. Ein Film, der sich von seinen (filmischen)
Wurzeln befreit und direkt in dein Herz vordringt. Wenn Noriko sich
entscheidet, das Haus ihrer Familie, ja Tokyo zu verlassen, sollten
Taschentücher bereit liegen... Vergleicht man die frühen Ozu Filme mit
den späten, fällt auf, dass Ozu im Frühwerk viel öfter die Kamera
bewegt, schneidet oder auch mal über die Schultern seiner Figuren filmt.
Im Spätwerk bleibt die Kamera statisch. Er filmt aus einer niedrigen
Perspektive heraus, auf Augenhöhe seiner Protagonisten. Ich denke, Ozu
benutzt eine Konstruktion, die es ihm erlaubt, seine Kamera auf dieser
Höhe zu positionieren: Der Höhe einer Figur, die auf einer Tatami Matte
kniet. Jede Szene stellt einen Cut dar. Ozu eliminiert alles, was stört:
Kamerafahrten und Schwenks. Die Schnitte setzt er nach der Szene und
leitet dann zu folgenden über. Eine Szene endet dann, wenn die
Hauptfigur das Bild verlässt. Manchmal verweilt Ozu anschliessend noch
im Raum. Gerne benutzt Ozu sogenannte "Pillow Shots"; führt
Landschaften, architektonische Details oder einzelne Gegenstände vor. Am
liebsten seine Teekanne. Oder Züge. Ozu muss Züge geliebt haben! Ozu
folgt stets der Regel, dass die Kamera hinter einer imaginären Linie
bleibt. Bewegt sie sich, bedarf es einer Erklärung. Die Charaktere
treten links auf und gehen rechts ab. Oder andersherum. Es ist
interessant, wie viele Kinoregeln Ozu mit diesem Verfahren ignoriert!
Oder die Fokussierung auf seiner Teekanne! Sie taucht in einer Ecke des
Raumes auf, im nächsten Moment steht sie in einer anderen Ecke. Ozu
verweigert die Regeln der Kontinuität. Die Kanne hat sich einfach
selbständig bewegt. In "normalen" Filmen gilt, dass die Charaktere
einander ansehen, während sie sich unterhalten. Nicht so bei Ozu. Bei
ihm geht das so: Während zwei Figuren miteinander sprechen, schauen
beide geradewegs in die Kamera. Was erreicht er damit? Er holt uns, die
Zuschauer, mitten ins Geschehen hinein! Ozu interessiert sich überhaupt
nicht für Unterscheidung zwischen Close-Up, Medium Shot oder Master
Shot. Er interessiert sich einzig für die Bildkomposition an sich. Alles
muss perfekt sein! Jedes Bild könnte man rahmen! Bei Ozu wird der
Bilderrahmen einfach ersetzt durch eine Wand oder einen Vorhang oder ein
Banner. Er liebt es, Bilder im Hintergrund zu zeigen und viele von
ihnen hat er selbst gemalt. Wer zum ersten Mal einen Ozu Film sieht,
kann unmöglich den ganzen Reichtum seiner Kunst auf Anhieb entdecken.
Als wir während eines Videoabends Early Summer ansahen, glaubte ein
Mädchen, Ozu Filme seien symbolisch, etwa wie das Kabuki Theater (was im
Film ja vorkommt). Falls Early Summer aber nicht symbolisch ist - wäre
der Film nicht schlicht zu simpel als das er einer Diskussion bedürfte?
Doch dann, nach einer Weile waren wir überwältigt davon, wie viel es zu
entdecken gibt! Warum ist es ein so angenehmes Gefühl, Early Summer zu
sehen? Nun, wenn die Protagonisten essen, dann geniessen sie. Sie
spazieren am Meer entlang, sitzen in der Sonne. Und sie geniessen es.
Der teure Kuchen - wie gut muss der schmecken! Oder der Tee aus der
schönen Kanne! Oft fällt der Satz, wie schnell die Zeit verinnt. Es ist
die Grossmutter, die betont, wie glücklich sie immer waren, doch sollte
man nie zuviel vom Leben erwarten! Ozu Filme handeln von der Zeit an
sich. Early Summer mag vertraut wirken und doch ist er einzigartig!
Jeder der Charaktere wird genaustens beobachtet! Ach, ich könnte ewig
weiterschreiben - denn ist es nicht so, dass jede ernsthafte
Entedeckungsreise in die Welt des Films irgendwann bei Ozu ankommen
muss?
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