Our Daily Free Stream: Andrzej Zulawski - Possession
Our Daily Free Stream: Andrzej Zulawski - Possession. Ich habe mich
immer noch nicht daran gewöhnt, Zulawskis ehemaliges "Video Nasty" in
voller Länge zu sehen und in der Filmkunstbar Fitzcarraldo als
Schmuckausgabe des tollen Labels Bildstörung verleihen zu dürfen (der
youtube link dient den Schaulustigen, mal einen Eindruck zu bekommen.
SEHEN könnt ihr den Film bei uns auf DVD in voller Schönheit!). Ich bin
ehrlich begeistert! Früher fuhr ich wegen des Films zum Videodrom, doch
die Antwort war jedes Mal negativ. Possession gab es nicht auf VHS. Der
Grund: Isabelle Adjanis Kunst. Die mutigste schauspielerische Leistung,
die je auf Celluloid gebannt wurde: Adjani im U-Bahnhof Tempelhof,
possessiv, hysterisch, grandios! Possession traut sich, uns, die
Zuschauer, selbst in einen Zustand der Trance zu bringen. Alles beginnt
mit dem Ende einer Ehe. Anna (Isabelle Adjani) eröffnet Mark (Sam
Neill), dass sie ihn verlassen wird. Sie muss, versteht aber selbst
nicht genau warum. Anna ist verstört, trifft sich mit einem heimlichen
Liebhaber und drückt ihre neu gewonnene Freiheit durch Akte der Gewalt
aus. Mark stammelt etwas durch das Telefon und krümmt sich allein im
Bett zusammen wie ein Fötus. Schon bald beginnt der Kampf. Sie schlagen
sich in einem Strassencafe, Anna verstümmelt sich selbst mit einem
elektrischen Küchenmesser. Der zweite surreale Akt beginnt mit der
wahren Natur von Annas heimlichen Rendez-Vous. In einem verkommenen
Apartment in Kreuzberg (übrigens in der Sebastianstrasse Ecke Luckauer
in 36. Hier der link, wie es dort heute aussieht:
https://www.youtube.com/watch?v=UnleWl52m5s). Bewohnt wird es von einem
schleimigen nach Blut und Sex hungernden Monster, in dem Anna ihren
neuen Partner findet, den sie nähert. Mark erlebt sein schrecklichstes
Trauma als er seine Frau beim Sex mit dem Wurm beobachten muss (Carlo
Rambaldi hat die Kreatur geschaffen.) Possession scheint kein Film zu
sein, bei dem man reale Ereignisse als Inspiration erwartet - und doch
ist genau das der Fall: Zulawski schrieb das Drehbuch nach der Trennung
von seiner ersten Frau (die in seinen frühen polnischen Filmen die
Hauptrolle spielte). Possession, ein Film über rasende männliche
Eifersucht, aber auch über das Risiko persönlicher Freiheit. Zulawski
hat seinen Film 1980 im geteilten Berlin inszeniert und macht auffällig
oft Gebrauch von Weitwinkeln und Tiefenschärfe. Die erste Einstellung
zeigt die Berliner Mauer, im Hintergrund die Wachsoldaten aus
Ost-Berlin. Ein Mahnmal der Realität voller Gewalt und den Spannungen
zwischen Ost und West (die Zulawski nur allzu gut kennt, da er selbst
seine Heimat Polen verlassen musste). Die Trennung von Anna und Mark, im
Film wird sie gespiegelt. Possession ist ein Werk von Furcht und tiefer
Trauer. Etwas durch und durch Böses bemächtigt sich des Körpers von
Anna (ist es diabolisch?). Das gipfelt in der Szene im U-Bahnhof, da
Anna etwas zur Welt bringt, das sich auch Zulawski nicht traut, zu
definieren. Ein Missverständnis, Zulawskis Kino als blosse Pyrotechnik
misszuverstehen. Eine tiefe Beschäftigung mit den Geheimnissen der
menschlichen Seele, auseinandergerissen durch ihre brutalen Widersprüche
- das ist seine Intention. Zulaswki ist ein ausgesprochen romantischer
Regisseur, ein passionierter Forscher dessen, was in uns zerrissen ist.
Possession soll uns helfen, diesen Zustand zu überwinden trotz unserer
dunklen Sehnsüchte. Tief im Innern ist Zulawskis Werk ein Film über die
Suche nach Gnade.
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