FILM LIST: Jeanne Moreau
Sollten wir denn nicht vor Ehrfurcht erstarren? Ist sie denn tatsächlich
menschlich? Jeanne Moreau hat mehr grosse Filme mit den grössten
Regisseuren gemacht als jede andere. Manchmal konnte sie so lächeln wie
ein kleines Mädchen. Wer ein Interview mit ihr liest, ist erstaunt, wie
freundlich und direkt sie antwortet. Also doch keine Gottheit, nur
menschlich? Ich kann das nicht glauben. Moreau arbeitete drei Mal mit
Orson Welles, zwei Mal mit Francois Truffaut. Sie spielte in einem
Michelangelo Antonioni Film und in Werken von Luis Bunuel, Jean Renoir,
Louis Malle (...). Ihre Biographie überrascht uns wenig, angesichts
ihrer Filmographie. Sie, die Tochter eines britischen Vaters und einer
französischen Mutter, wurde während sie auf der Comedie-Francaise
lernte, schwanger von einem Studenten. Man zwang sie zur Heirat, doch
Moreau verliess ihren Mann und das Kind. Doch wie die meisten ihrer
Liebhaber blieb ihr Mann doch im Umfeld von Moreau - er inszenierte
sogar Filme mit ihr. Einmal sagte sie, ein Mann, den sie liebt, würde
für immer wie ein Bruder für sie sein. Moreau verglich gern die Liebe
mit einer Schüssel Suppe. Die ersten Löffel zu heiss, die letzten zu
kalt. In Les Amants von Louis Malle flieht Moreau aus ihrem bürgerlichen
Leben, verlässt ihr Kind, um mit dem Mann, der sie liebt, eine einzige
Nacht zu verbringen. Ihr berühmtester Film, Truffauts Jules Et Jim,
wurde fast ohne Geld produziert. Moreau, die selten mehr als einen Take
braucht, kam das bestimmt zugute! Stets suchte sie nach Projekten, die
sie liebte, selten nach kommerziellen Erfolgen. In ihrem ersten Film
Elevator to the Gallows von Louis Malle gibt es diese Szene, in der sie
nachts durch Paris geht. Wir sehen ihr Gesicht nur gespiegelt in den
Schaufenstern, manchmal hässlich, dann wieder attraktiv. Ein Film, der
von der Jazz-Musik Miles Davis lebt. Später sollte auch Moreau eine
Schallplatte mit Chansons einspielen. In Maguerite Duras Verfilmung von
Moderato Cantabile (1960) trank Moreau tatsächlich bis in die frühen
Morgenstunden, um ihre Rolle auch zu spüren. Ich denke, es ist ihr
grösster Auftritt überhaupt geworden! Moreau scheint fast von Sinnen;
niemand hätte sich gewundert, wäre sie mitten in einer Szene einfach
umgefallen. Wie real wurde Duras doch so artifizielles Werk durch diese
Performance! Angeblich verpflichtete Antonioni Moreau für La Notte wegen
ihres Ganges. Bunuel war offensichtlich in Diary of a Chambermaid auch
fasziniert davon! Am meisten aber glorifizierte Orson Welles Moreau. In
The Immortal Story spielt sie eine Hure und man fragt sie, ob sie 17
sei. "Yes!"; entgegnet Moreau und dann ist sie auch 17. Am attraktivsten
war sie natürlich in Jules and Jim - mit diesem Lächeln! Oder doch in
Jacques Demys Bay of Angels? Ist ihre Spielsucht nicht höllisch
attraktiv? Die tollsten Moreau Filme aus den 60ern sind fast
handlungslos. Sie sind ganz Stimmung, beruhen auf einer Idee, auf einem
Thema. Moreau spielt fast immer Rebellen. Sie bricht die Regeln, aber
mit vollem Herzen. Genau das machte sie während der 60er zu einer solch
glamorösen und romantischen Figur! Zu einer einsamen aber eben auch. Nie
spürte man das deutlicher als in Tony Riichardsons Mademoiselle, in dem
sie eine kranke Lehrerin mit tiefliegenden, schwarzen Augen verkörpert.
Ganz anders die Moreau in Viva Maria von Louis Malle - auf Augenhöhe
mit Brigitte Bardot. In einem Moment diese schwarzen Ringe um ihre
Augen. Sie wirkt verloren. Nur ihr Moreau Lächeln vermag es, diese
Dunkelheit zu durchbrechen! Sie war die Schlüsselfigur der Nouvelle
Vague. Das Vorbild aller selbstbestimmten Frauen. Moreau hat einmal
bemerkt, sie lebe nur für den Moment. Wem sonst hätten wir das mehr
geglaubt?
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