Mittwoch, 8. Februar 2017

youtube: Luchino Visconti - Il Gattopardo (engl. subt.)


youtube: Luchino Visconti - Ill Gattopardo (engl. subt.). Giuseppe Tomasi di Lampedusa, ein sizilianischer Aristokrat, schrieb sich die Geschichte eines alternden sizilianischen Adeligen (wohl nach dem Vorbild seines Grossvaters) vom Herzen. Nur einer kam später in Frage, dieses Epos zu verfilmen: Luchino Visconti, seines Zeichens sizilianischer Adeliger. Die Hauptbesetzung, die heute genauso alternativlos scheint, war 1963 allerdings ein Skandal: Warum durfte Hollywood Star Burt Lancaster Don Fabrizio, den Fürsten von Sizilien, spielen? Man raunte, ohne Lancaster wäre dieses Projekt nicht finanzierbar gewesen. Schliesslich erfolgte die Premiere von Il Gattopardo in einer um 40 Minuten gekürzten Fassung in Amerika - englisch synchronisiert! Welcher Teufel ritt Visconti da wohl? Als wir die Filmkunstbar Fitzcarraldo eröffneten, kam man an keine gepflegte DVD des Films heran. Seit der europäischen Premiere 1963 wurde das Werk eher stiefmütterlich behandelt. Ich zog während der 80er durch die West-Berliner Videotheken und suchte. Im Videodrom gabs schliesslich eine ordentliche Fassung. Dann die Sensation: Eine deutsche VÖ mit den geschnittenen 40 Minuten! Genau die könnt ihr heute bei uns für einen Euro leihen. Wer Il Gattopardo wiedersieht, bewundert vor allem Burt Lancaster. Ein Hollywood Star, der bereits "Indie" Filme machte, bevor es den Begriff überhaupt gab! Er spielt den Fürsten, der einen Lebensstil tief und innig liebt, der seinem Ende zugeht. Sein Don Fabrizio ist ein natürlicher Patriarch. Seine Autorität wurde ihm mit in die Wiege gelegt. Natürlich ist er sich seines Alters und auch gewisser amoralischer Tendenzen bewusst. Wir erleben ihn während eines philosophischen Gesprächs mit seinem Freund, dem Pater Pirrone. Fabrizio erklärt dem Kirchenmann, wie er in Zukunft Kompromisse eingehen muss, um das Wohl, den Stand seiner Sippe zu halten. Genau wie der Roman beginnt auch der Film während eines Familien-Gebets. Plötzlich findet man einen toten Soldaten draussen im Garten. Garribaldis Revolution hat vom italienischen Festland auf Sizilien übergegriffen. Die Tage der alten Ordnung, sie sind gezählt. Die Frau Don Fabrizios heisst Maria Stella und es ist offensichtlich, dass in ihrem Leben der eigene Status mehr zählt als ihre Person. Beide haben drei Töchter von mässiger Schönheit und einen nutzlosen Sohn. Don Fabrizios ganzer Stolz gilt deshalb seinem charmanten Neffen Tancredi (Alain Delon). Nur er wird die Sippe in eine verheissungsvolle Zukunft überführen. Tancredi ist ein Hitzkopf, der sich Garribaldi anschloss. Natürlich ist er kein Revolutionär, sondern Realist, der letzten Endes in der königlichen Armee Victor Emmanuels uniformiert sein wird. Don Fabrizio weiss genauso um die Zeitenwende, vor allem um die kommende Landreform. Er glaubt, dass es Zeit ist für seine Familie, eine vorteilhafte Heirat zu arrangieren. Während seiner sommerlichen Jagdpartien hört er von Don Calogero (Paolo Stoppa), der zu Reichtum durch kluge Investitionen kam. Er lädt Don Calogero zum Dinner ein, woraus Visconti eine scharf beobachtete Gesellschaftskomödie werden lässt. Der neureiche, plumpe und abgrundtief hässliche Geschäftsmann, der glaubt, Geld verliehe ihm Status, trifft auf den alten Adel. Visconti deutet vieles an, verliert sich jedoch nicht darin, zu sehr zuzuspitzen. Wir schmunzeln, wahren die Perspektive Don Fabrizios. Don Calogeros Frau erscheint nicht, da nicht repräsentativ, wohl aber seine wunderschöne Tochter Angela (Claudia Cardinale). Cardinale auf dem Gipfel ihrer Schönheit! Natürlich verstehen wir, weshalb Tancredi sich sofort verliebt. Don Fabrizio seinerseits ist bezaubert und so darf es zur arrangierten Ehe kommen zwischen Tancredi und Angela. Jeder andere Regisseur hätte daraus eine Seifenoper gemacht, nicht aber Visconti. Im Vordergrund steht die Sorge Fabrizios, in Zukunft ein weniger standesgemässes Leben führen zu können. Natürlich verstehen wir, dass der Adel die arbeitende Klasse ausbeutete (Visconti, ein Marxist, wusste das genauso!). Der Fürst aber ist ein so guter und stolzer Mann, der sich seiner Schwächen so deutlich bewusst ist und eine solche Liebe zum traditionellen Leben hegt - wie könnten wir ihn verurteilen? Die Sorgen, die seine Kompromisse bewegen, wir teilen sie! Da ist aber noch etwas anderes: Der Fürst ist ein Alpha-Tier, geboren, um zu führen. Weibliche Schönheit berührt ihn (obwohl er auch die Kritik der Kirche an seinem dekadentem Sein versucht, anzunehmen). Angelas Schönheit fasziniert ihn - genauso wie seinen Neffen Tancredi. Visconti kann ihm allerdings nicht erlauben, sein Entzücken in gesalbten Reden auszudrücken. Fabrizio drückt es einzig in Blicken und Gesten aus. Immerhin, der Fürst war bereits 45 Jahre alt - um 1860 zu alt, um seine Gefühle in Worte zu fassen. Il Gattopardo mündet in einer 40minütigen Ball-Szene. Ich denke, in der Geschichte des Kinos wurde die menschliche Sterblichkeit nie wieder so faszinierend gezeigt! Alles, was im Film vorkommt, wird in dieser Szene noch einmal verdichtet - und dafür sind keine Dialoge notwendig. Visconto kann darauf verzichten, irgendetwas zu verbalisieren - er lässt seine prachtvollen Bilder sprechen. Dieser Ball dokumentiert den Untergang des goldenen Zeitalters. Wir sehen es in den Gesichern der alten herrschenden Klasse Siziliens: Ihre Zeit ist gekommen. Sie sind nunmehr Geschichte. Während die Jungen unermüdlich tanzen, sehen die Alten zu, wie sich die Romanzen und Liaisons der Zukunft zusammen finden. Der Fürst schreitet wie ein Schatten durch die einzelnen Räume, isoliert vom bunten Treiben. Seine Gedanken, seine Leidenschaften, seine Trauer - wir sehen sie in Lancasters Gesicht. Bis zu der Szene, da wir unmittelbar teilhaben! Am Ende schenkt uns Visconti einer dieser Szenen, wegen der wir überhaupt ins Kino gehen! Wir haben den Fürsten, seine Persönlichkeit und Überzeugungen kennengelernt, und werden nun unverhofft in sein Gefühlsleben geworfen! Im besten Fall verleiht uns das Kino die Illusion, jemand anderen Lebens gelebt zu haben. Genau das geschieht am Ende von Il Gattopardo.

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