youtube: Luchino Visconti - Il Gattopardo (engl. subt.)
youtube: Luchino Visconti - Ill Gattopardo (engl. subt.).
Giuseppe Tomasi di Lampedusa, ein sizilianischer Aristokrat, schrieb
sich die Geschichte eines alternden sizilianischen Adeligen (wohl nach
dem Vorbild seines Grossvaters) vom Herzen. Nur einer kam später in
Frage, dieses Epos zu verfilmen: Luchino Visconti, seines Zeichens
sizilianischer Adeliger. Die Hauptbesetzung, die heute genauso
alternativlos scheint, war 1963 allerdings ein Skandal: Warum durfte
Hollywood Star Burt Lancaster Don Fabrizio, den Fürsten von Sizilien,
spielen? Man raunte, ohne Lancaster wäre dieses Projekt nicht
finanzierbar gewesen. Schliesslich erfolgte die Premiere von Il
Gattopardo in einer um 40 Minuten gekürzten Fassung in Amerika -
englisch synchronisiert! Welcher Teufel ritt Visconti da wohl? Als wir
die Filmkunstbar Fitzcarraldo eröffneten, kam man an keine gepflegte DVD
des Films heran. Seit der europäischen Premiere 1963 wurde das Werk
eher stiefmütterlich behandelt. Ich zog während der 80er durch die
West-Berliner Videotheken und suchte. Im Videodrom gabs schliesslich
eine ordentliche Fassung. Dann die Sensation: Eine deutsche VÖ mit den
geschnittenen 40 Minuten! Genau die könnt ihr heute bei uns für einen
Euro leihen. Wer Il Gattopardo wiedersieht, bewundert vor allem Burt
Lancaster. Ein Hollywood Star, der bereits "Indie" Filme machte, bevor
es den Begriff überhaupt gab! Er spielt den Fürsten, der einen
Lebensstil tief und innig liebt, der seinem Ende zugeht. Sein Don
Fabrizio ist ein natürlicher Patriarch. Seine Autorität wurde ihm mit in
die Wiege gelegt. Natürlich ist er sich seines Alters und auch gewisser
amoralischer Tendenzen bewusst. Wir erleben ihn während eines
philosophischen Gesprächs mit seinem Freund, dem Pater Pirrone. Fabrizio
erklärt dem Kirchenmann, wie er in Zukunft Kompromisse eingehen muss,
um das Wohl, den Stand seiner Sippe zu halten. Genau wie der Roman
beginnt auch der Film während eines Familien-Gebets. Plötzlich findet
man einen toten Soldaten draussen im Garten. Garribaldis Revolution hat
vom italienischen Festland auf Sizilien übergegriffen. Die Tage der
alten Ordnung, sie sind gezählt. Die Frau Don Fabrizios heisst Maria
Stella und es ist offensichtlich, dass in ihrem Leben der eigene Status
mehr zählt als ihre Person. Beide haben drei Töchter von mässiger
Schönheit und einen nutzlosen Sohn. Don Fabrizios ganzer Stolz gilt
deshalb seinem charmanten Neffen Tancredi (Alain Delon). Nur er wird die
Sippe in eine verheissungsvolle Zukunft überführen. Tancredi ist ein
Hitzkopf, der sich Garribaldi anschloss. Natürlich ist er kein
Revolutionär, sondern Realist, der letzten Endes in der königlichen
Armee Victor Emmanuels uniformiert sein wird. Don Fabrizio weiss genauso
um die Zeitenwende, vor allem um die kommende Landreform. Er glaubt,
dass es Zeit ist für seine Familie, eine vorteilhafte Heirat zu
arrangieren. Während seiner sommerlichen Jagdpartien hört er von Don
Calogero (Paolo Stoppa), der zu Reichtum durch kluge Investitionen kam.
Er lädt Don Calogero zum Dinner ein, woraus Visconti eine scharf
beobachtete Gesellschaftskomödie werden lässt. Der neureiche, plumpe und
abgrundtief hässliche Geschäftsmann, der glaubt, Geld verliehe ihm
Status, trifft auf den alten Adel. Visconti deutet vieles an, verliert
sich jedoch nicht darin, zu sehr zuzuspitzen. Wir schmunzeln, wahren die
Perspektive Don Fabrizios. Don Calogeros Frau erscheint nicht, da nicht
repräsentativ, wohl aber seine wunderschöne Tochter Angela (Claudia
Cardinale). Cardinale auf dem Gipfel ihrer Schönheit! Natürlich
verstehen wir, weshalb Tancredi sich sofort verliebt. Don Fabrizio
seinerseits ist bezaubert und so darf es zur arrangierten Ehe kommen
zwischen Tancredi und Angela. Jeder andere Regisseur hätte daraus eine
Seifenoper gemacht, nicht aber Visconti. Im Vordergrund steht die Sorge
Fabrizios, in Zukunft ein weniger standesgemässes Leben führen zu
können. Natürlich verstehen wir, dass der Adel die arbeitende Klasse
ausbeutete (Visconti, ein Marxist, wusste das genauso!). Der Fürst aber
ist ein so guter und stolzer Mann, der sich seiner Schwächen so deutlich
bewusst ist und eine solche Liebe zum traditionellen Leben hegt - wie
könnten wir ihn verurteilen? Die Sorgen, die seine Kompromisse bewegen,
wir teilen sie! Da ist aber noch etwas anderes: Der Fürst ist ein
Alpha-Tier, geboren, um zu führen. Weibliche Schönheit berührt ihn
(obwohl er auch die Kritik der Kirche an seinem dekadentem Sein
versucht, anzunehmen). Angelas Schönheit fasziniert ihn - genauso wie
seinen Neffen Tancredi. Visconti kann ihm allerdings nicht erlauben,
sein Entzücken in gesalbten Reden auszudrücken. Fabrizio drückt es
einzig in Blicken und Gesten aus. Immerhin, der Fürst war bereits 45
Jahre alt - um 1860 zu alt, um seine Gefühle in Worte zu fassen. Il
Gattopardo mündet in einer 40minütigen Ball-Szene. Ich denke, in der
Geschichte des Kinos wurde die menschliche Sterblichkeit nie wieder so
faszinierend gezeigt! Alles, was im Film vorkommt, wird in dieser Szene
noch einmal verdichtet - und dafür sind keine Dialoge notwendig.
Visconto kann darauf verzichten, irgendetwas zu verbalisieren - er lässt
seine prachtvollen Bilder sprechen. Dieser Ball dokumentiert den
Untergang des goldenen Zeitalters. Wir sehen es in den Gesichern der
alten herrschenden Klasse Siziliens: Ihre Zeit ist gekommen. Sie sind
nunmehr Geschichte. Während die Jungen unermüdlich tanzen, sehen die
Alten zu, wie sich die Romanzen und Liaisons der Zukunft zusammen
finden. Der Fürst schreitet wie ein Schatten durch die einzelnen Räume,
isoliert vom bunten Treiben. Seine Gedanken, seine Leidenschaften, seine
Trauer - wir sehen sie in Lancasters Gesicht. Bis zu der Szene, da wir
unmittelbar teilhaben! Am Ende schenkt uns Visconti einer dieser Szenen,
wegen der wir überhaupt ins Kino gehen! Wir haben den Fürsten, seine
Persönlichkeit und Überzeugungen kennengelernt, und werden nun
unverhofft in sein Gefühlsleben geworfen! Im besten Fall verleiht uns
das Kino die Illusion, jemand anderen Lebens gelebt zu haben. Genau das
geschieht am Ende von Il Gattopardo.
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