Our Daily Free Stream: Bernardo Bertolucci - 1900
Our Daily Free Stream: Bernardo Bertolucci - 1900.
Welch höchste Hoffnungen inspirierte Bertoluccis 1900 seinerzeit? Das
Wunderkind seiner Generation, der mit einer Polit-Parabel und einem
Erotik-Drama als grösster lebender Künstler gefeiert wurde. Und dann?
Bertolucci durfte seine Schauspieler, darunter Gerard Depardieu, Robert
De Niro und sogar Burt Lancaster, frei wählen und bekam ein
unbeschränktes Budget. Das Ergebnis enttäuschte seine Zeitgenossen.
Bertolucci hatte sich verhoben. Tatsächlich? Man kann nachlesen, wie die
Weltpremiere während des Festivals von Cannes 1976 mit Spannung
erwartet wurde, wie der Schwarzmarkt blühte. Produzent Alberto Grimaldi
hatte bereits Erfahrungen mit überlangen Filmen - doch dieses Mal trug
er die Last eines Epos, das sich nicht vermarkten liess. Er kürzte das
Werk von 320 Minuten auf 240. War das womöglich sogar ein Segen?
Immerhin ging 1900 ein in die Annalen der verlorenen Klassiker. Grimaldi
als der zensierende Bösewicht, Bertolucci als das verkannte Genie.
1900, ein Werk, das Stunden braucht, um den Klassenkampf in Italien auf
den Punkt zu bringen und letztlich ziemlich wahnwitzig endet. Alles
beginnt am Tag von Verdis Tod (was für eine billige Symbolik!). Zwei
Söhne in zwei Familien werden geboren, die eine reich, die andere
bäuerlich. Sie wachsen gemeinsam auf, fangen Frösche, sind noch
unschuldig. Erstaunlicherweise gelingt es uns aber nicht, so etwas wie
Empathie für beide zu empfinden. Robert De Niro und Gerard Depardieu
spielen die Jungs, Burt Lancaster und Sterling Hayden ihre Väter. Die
Väter sterben, die Söhne werden zu Erben. Im Hintergrund greift
Mussolini nach der Macht. Im Ort agiert ein Faschist (Donald
Sutherland), der für De Niro arbeitet, während Depardieu Kommunist ist.
Ein paar Intrigen, Hochzeiten, Todesfälle und Geburten später, heiratet
De Niro eine wunderschöne Frau (Dominique Sanda), während Sutherland an
ihrem Freudentag ein Kind ermordet (und die Schuld auf Depardieu
schiebt). All das wird eingefangen von einer Kamera, die ganz entgegen
epischer Konventionen niemals verharrt, sondern munter von Schauplatz zu
Schauplatz tollt - so als könne sie es nicht erwarten. Narration? Wohl
eher Kuddelmuddel. Wer sich davon aber nicht abschrecken lässt, wird
merken, dass zahlreiche Ideen im Hinterkopf bleiben. Wie Depardieu eine
Wurst nach De Niro wirft oder Sutherland in einem Gewaltausbruch eine
Katze tötet. Es scheint nur so, als ob 1900 weder Richtung noch Ziel
kennen würde. Während wir ratlos staunen, sind Bertoluccis Tableaus
bereits tief im Gedächtnis eingebrannt. Bertolucci hatte bis dahin
Kammerspiele gefilmt und versucht hier gar nicht erst, sein Material zu
ordnen. 1900 ist ein ausgelassenes Chaos und wird uns einfach so
hingeworfen! Der Regisseur taucht dabei sehr wohl ein in die Psyche
seiner Hauptfiguren. Jedoch weigert er sich, die Rahmenhandlung
aufzubreiten und überlasst das uns. Am Ende wirken seine beiden Söhne
reichlich lächerlich und genauso herbeigeholt wird ein Ende drangeklebt.
1900 ein Film, der alle Konventionen über Bord wirft und beweist, dass
Film eben mehr ist als Narration. Sind bleibende Bilder und erstaunliche
Eindrücke aber nicht viel interessanter?
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