Our Daily Free Stream: La Meglio Giuventu
Our Daily Free Stream: La Meglio Gioventu. Jede Rezension von La Meglio
Gioventu beginnt damit, dass Marco Tullio Giordanas Werk sechs Stunden
lang ist. Dabei kann ein guter Film gar nicht lang genug sein (während
ein schlimmer Film nicht schnell genug vorbei sein kann). Ich war
wirklich drin in diesem Epos, befand mich ausserhalb der Zeit. Der Film
wurde im Cinema Paris am Ku'damm in zwei Blöcken gezeigt und als das
Licht im Saal anging, hatte ich nicht das Bedürfnis, hinauszugehen. Von
mir aus hätte La Meglio Gioventu noch drei Stunden andauern dürfen. Ist
es nicht so, dass die Begrenzung von zwei Stunden aus den meisten Filmen
Kurzgeschichten werden lässt? Hier aber kommt ein Roman! Ein äusserst
ambitionierter! Wir folgen zwei Brüdern über einen Zeitraum von über 40
Jahren. Von 1963 bis 2000. Von Rom nach Norwegen, dann Turin, Florenz
und Palermo - und schliesslich wieder Rom. Wir erleben die 68er, die
Jahrhundert-Flut in Florenz, die Roten Brigaden und die wirtschaftliche
Flaute in den Fiat Werken. Zeitgeschehen wie die Fussball WM 1982 oder
ähnliche Ereignisse werden übers Radio vermittelt - letztlich umfasst
das Werk 40 Jahre italienischer Geschichte. Die Brüder heissen Nicola
und Matteo Carati (Luigi Lo Cascio und Alessio Boni). Wir lernen ihre
Eltern Angelo (Andrea Tidona) und Adriana (Adriana Asti), die ältere
Schwester Giovanna (Lidia Vitale) sowie die jüngere kennen. Gleich zu
Beginn des Films erhält Nicola seinen Doktortitel der Medizin, während
Matteo noch Literatur studiert. Matteo sucht sich einen Job in einer
Nervenheilanstalt und darf fortan die schöne Giorgia (Jasmine Trinca)
betreuen. Durch eine Elektroschock Therapie wurde sie verwundet und hat
Angst vor der Welt draussen. Spontan entscheidet Matteo, sie aus der
Klinik zu befreien und auf einen Sommer-Trip mit seinem Bruder und zwei
Freunden mitzunehmen. Es soll ihre schönste gemeinsame Zeit werden. doch
Giorgia wird von der Polizei aufgegriffen und bald schon verlässt
Nicola Italien und reist nach Norwegen. Matteo dagegen, schmeisst sein
Studium, da er die Positionen des Professors nicht teilt. Der brillante
Literat schliesst sich der Armee an. Wieso handelt er so? Wieso quält er
sich? Nicola dagegen trifft eine junge Frau, die mitten auf der Strasse
Klavier spielt. Sie heisst Giulia (Sonia Bergamasco). Ihre Blicke
treffen sich und beide wissen: Sie begehren sich. Ohne Heirat leben sie
zusammen und bekommen eine Tochter: Sara. Giulia aber entzieht sich
zunehmend der Familie, unterhält eine gemeinsame Zelle der Roten
Brigaden. Matteo dagegen wird Polizist und lässt sich in Sizilien
stationieren - dort wo niemand hin will. In einem Cafe trifft er auf die
schöne Fotografin Mirella (Maya Sansa). Matteo gibt sich als Nicola aus
und erzählt Mirella von der Bibliothek in Rom. Später wird er sie dort
wiedertreffen - Mirella beginnt dort als Bibliothekarin zu arbeiten. Sie
werden zu Liebhabern, Matteo aber kann niemanden nahe an sich
heranlassen. Einzig sein Bruder und Giorgia durften ihn wirklich
kennenlernen. Eine innere Unruhe treibt ihn, Selbsthass zermürbt ihn.
Sämtliche Figuren im Film, wir werden sie wiedersehen. Nicola wird
Giorgia finden in einem unverhofften Zustand. Die Charaktere und ihre
Geschichte, sie sind miteinander verwoben, ohne sich aber zu kennen.
Marco Tullio Giordana nimmt sich genügend Zeit, um sie uns alle
vorzustellen, wie sie sich entwickeln, altern und etwas über sich selbst
erfahren. Dabei ist die Entwicklung Giulias die wohl berührendste und
radikalste. Endlich darf auch Nicola zufrieden sein - endlich darf er
erkennen, wie nahe sein Glück die ganze Zeit über war! Matteo dagegen,
bleibt die tragische und mysteriöse Figur. Giordana zeichnet kein
einfaches Bild seiner Heimat. Bereits nach seinem Abschluss erhält
Nicola den Tipp seines Professors, dieses schöne, jedoch träge Land zu
verlassen. Nicola aber bleibt. Wir bekommen Einblicke in die Figuren,
ihre politischen Umstände, in das ganze Land - die wir sonst niemals
erhalten hätten! Wie wundervoll ist der optimistische Charakter des
Vaters! Wie verstörend die aufbegehrende Giulia! Ein Meisterwerk mit
überraschenden Auflösungen und einem wundervollen Finale! Sechs Stunden
lang und genauso tiefgründig!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen