Dienstag, 27. September 2016

Our Daily Free Stream: Starbuck Holger Meins


Gerd Conradt hat mit Holger Meins 1966 in Berlin studiert. Meins war Filmemacher, der wegen seiner politischen Haltung von der akademie ausgeschlossen wurde. Er schloss sich der RAF an, radikalisierte sich. Man inhaftierte ihn, verurteilte ihn mit Meinhoff, Baader und Ensslin. 1974 starb er in seiner Zelle, nach einem Hungerstreik auf 39 Kilo abgemagert. Hier ein Interview aus der Zeitung "Der Freitag": FREITAG: Sie bezeichnen Ihren Film als "Spurensuche". Können Sie etwas über die Anfänge dieser Suche erzählen, die ihr zugrundeliegenden Motive? GERD CONRADT: Das Prinzip des Films ist es, dass ich mich immer auf Bilddokumente beziehe und diese vorstelle. Ich möchte, dass der Zuschauer mitschaut. Ich will ihm die Möglichkeit geben, selber hinzusehen und sich ein Urteil zu bilden. Mir ging es um eine Spurensuche, die sich ausschließlich vorhandener Dokumente bedient. Es gibt von Holger Meins viele Spuren und Bilder, zum Beispiel von seiner Festnahme und der Beerdigung, die jeden Dokumentaristen reizen müssten. Wer war das eigentlich, der da schreiend und nur mit einer Unterhose bekleidet abgeführt wurde? Hinter dem Erzählen anhand von Bildern steckt ein bestimmtes Konzept. Ich bin der Meinung, dass das gemeinsame Betrachten von Bildern einen anderen demokratischen Umgang mit Geschichte und Politik ermöglichen. Bilder bieten ein Korrektiv, sie sind resistent gegen vermeintliche Gewissheiten und konträre Behauptungen. Sie bieten die Möglichkeit des Innehaltens und Schauens. Ihre Dokumentation ist dem Vater Wilhelm Meins gewidmet, und seine Szenen gehören zu den stärksten im gesamten Film. Wie kam es zur Zusammenarbeit? Ich bin 1974 zu Holgers Beerdigung nach Hamburg gefahren, und fühlte mich dort eher als Angehöriger und nicht als Mitglied irgendeiner roten Zelle. Ich habe mich zu der Familie gestellt und dadurch den Vater kennen gelernt. Er hat mich gefragt, ob ich ihn nicht mal besuchen wolle, und schon Weihnachten bin ich dann nach Hamburg gefahren. Er hat mir die Bude von Holger gezeigt, die bis unter die Decke angefüllt war mit Bildern und künstlerischen Arbeiten aus seiner Studienzeit. Das hat mich umgehauen, Holger hatte nie davon erzählt. Als wir uns an der DFFB kennen lernten, war für ihn nur die Gegenwart interessant. Er vermittelte den Eindruck, dass alles Zurückliegende für ihn nicht wichtig war. Er konzentrierte sich voll aufs Filmemachen. Ich habe Wilhelm Meins insgesamt dreimal besucht, und beim zweiten Mal habe ich mein Video-Equipment mitgebracht. Er erklärte sich einverstanden damit, in die Kamera zu erzählen, aber es war damals noch gar nicht klar, wofür das Material eigentlich sein soll. Das war 1975, zu einer sehr polarisierten Zeit, wo bei der Beschäftigung mit der RAF immer gleich die Frage aufkam, ob man Unterstützer oder Gegner war. Eine vermittelnde oder radikal andere Sichtweise war damals nicht möglich. Das Material blieb dann erst mal liegen. 1979 bin ich dann noch mal zu ihm gefahren, um von ihm die Zustimmung zu einer öffentlichen Verwendbarkeit des Materials zu bekommen. Ich habe ihn dabei gefilmt, wie er sich die Szenen ansieht und kommentiert. Für mich war das eine intensive Begegnung. Es gab beim Vater ein großes Bedürfnis, etwas über seinen Sohn zu erfahren. Seit dem Beginn seines Studiums in Berlin hatte sich Holger bei seiner Familie ziemlich rar gemacht. Der Vater bat mich, alle Filme und Bilder von Holger mitzubringen. Er wollte alles aus seiner Studienzeit erfahren. Ich war sehr überrascht, einem so warmen und intensiven Mann zu begegnen. Er entsprach überhaupt nicht dem Bild, das ich mir aufgrund von Holgers Erzählungen von ihm gemacht hatte. Er hat sich immer hundertprozentig hinter seinen Sohn gestellt. Auch wenn Holger verurteilt worden wäre, hätte Wilhelm Meins seinen Sohn nicht abgeschrieben. Wie reagierten andere Gesprächspartner, vor allem aus dem Umkreis der RAF, auf Ihr Vorhaben? Die Leute aus der RAF und ihrem Umkreis reagierten auf sehr unterschiedliche Weisen. Mehr noch als andere Menschen sind sie sehr durch ihre Geschichte geprägt. Margrit Schiller, die einen Weg gefunden hat, mit ihrem Leben und ihrer Geschichte umzugehen, erzählte relativ freimütig. Allerdings auch nur über das, was weder sie noch andere belastet. Darauf achten sie natürlich alle sehr genau, was kann ich sagen, und was nicht? Womit kann ich belangt werden? Ich habe mich für Margrit Schiller als Gesprächspartnerin entschieden, weil sie eine Liebesbeziehung zu Holger hatte, von der sie in ihrem Buch geschrieben hat. Ich habe das Interview mit den Zitaten aus dem Buch begonnen. Solche Spuren waren immer der Ausgangspunkt, wenn ich mit jemandem Kontakt aufgenommen habe. Die meisten RAFler der ersten Generation sind tot, bei anderen, wie Horst Mahler, fehlte mir der Beleg, die zu Holger Meins führende Spur. Außerdem waren seine Erinnerungen zu vage. Bei dieser Generation habe ich eher eine Verhärtung gespürt, ein Sich-Abkapseln. Sie haben sich nach außen hin arrangiert, mit Wohnung, Familie und Arbeit, aber diese Geschichte ist nach wie vor nicht verarbeitet. Sie führen ein Art Doppelleben. Man trifft da auf sehr widersprüchliche Haltungen. Von "Die Kalaschnikow habe ich immer noch im Bett" bis "Wir hatten Recht". In Hamburg gibt es noch eine relativ starke RAF-Fraktion, mit der Haltung: "Wir haben es richtig gemacht." Ich habe Irmgard Möller 1 1/2 Jahre in Stammheim besucht. Wir haben uns dann aber zerstritten, weil ich da nicht hingefahren bin, um RAF-Mitglied zu werden, sondern mehr aus einer alten Solidarität heraus. Was sie behaupten, finde ich fachlich nicht qualifiziert, und ich habe sie dann auch angegriffen. Ich finde, die sollen erst mal in ihrem eigenen Haus kehren. Sie sollen Stellung nehmen zu den Dingen, die sie gemacht oder vielleicht auch gerade nicht gemacht haben. Es ist ja bis heute nicht erwiesen, wer Herrhausen und Rohwedder umgebracht hat. Wenn die RAF einen Mann wie Herrhausen umgebracht hat, sollten sie ihre Motive erklären. Aber es gibt ja unglaublich viele Anhaltspunkte, dass die RAF dafür nur benutzt wurde oder unterlaufen war. Ich finde, sie sollten an der Aufklärung dieser Dinge mitarbeiten, offensiver mit ihrer eigenen Geschichte umgehen. Wenn sie etwas zu sagen haben, dann sollen sie es offensiv machen, und nicht immer unter dem Deckmantel des Märtyrertums, von wegen, wir haben ja so gelitten und haben es ja auch für euch alle gemacht. Wir sind ja eigentlich die wirklichen Revolutionäre, wir wurden geknechtet, wir haben 20 Jahre gesessen, während ihr Karriere gemacht habt. Welche Spuren hat Holger Meins bei Ihnen persönlich hinterlassen? Kennen gelernt habe ich ihn 1966, wie auch 34 andere, die sozusagen wie Auserwählte in einem Raum der neu gegründeten DFFB saßen. Warum wir es geschafft hatten, wussten wir eigentlich alle nicht so genau. Wir mussten uns dann in Regieklassen aufteilen. Da standen also fünf oder sechs Lehrer, und wir konnten uns selbst überlegen, wem wir uns zugehörig fühlten. Sowohl Holger als auch ich und Hartmut Bitomsky, Skip Norman und ich glaube auch Helge Sander-Brahms saßen dann irgendwann bei Peter Lilienthal. Unsere Aufgabe im ersten Jahr war es, mit einem bestimmten Budget einen Erstlingsfilm zu drehen, anhand dessen dann entschieden werden sollte, ob man weiterstudieren dürfe. Holger hatte schon praktische Erfahrung und war schnell derjenige, der immer gefragt wurde. Das war mein erster Eindruck von ihm, ein Mensch mit viel Erfahrung, von dem ich viel lernen kann. Mich faszinierte sein hohes handwerkliches Geschick. Er hatte eine große Ausdauer, technische Probleme zu lösen, sich Fertigkeiten anzueignen. Er war auch sehr sozial. Er hat für alle gekocht und hatte ein gelassenes Verhältnis zu Transportmitteln, nach dem Motto, mein Auto ist auch dein Auto. Das war damals etwas Neues für mich. Ich vermute, das hatte viel mit seiner Zeit bei den Pfadfindern zu tun. Holger war jemand, der sein Leben lang nach Konzepten gesucht hat. Zuerst war es die Religion, dann die Lebensgemeinschaft der Pfadfinder. Es folgten die Kunst, der Film, dann die Studentenbewegung, die RAF. Das sind alles Konzepte. Der andere wichtige Pol ist sein Bedürfnis, Teil einer Gruppe zu sein. Wenn er an einem Film mitarbeitete, wäre er immer am liebsten zu den Filmemachern gezogen und hätte bei ihnen bis zur Fertigstellung gewohnt. Er wollte immer alles mit allen teilen. Vielleicht auch die Frau. Wie kam es schließlich zum Bruch zwischen Holger Meins und Ihnen? Wir arbeiteten damals beide für Peter Paul Zahls Zeitschrift "883", allerdings aus unterschiedlichen Motiven. Für mich stand im Vordergrund, etwas Kreatives zu tun, der anarchische Sponti-Aspekt daran gefiel mir. Holger hingegen tendierte damals schon eher in Richtung militante Aktion. Das war die Zeit, als aus seinem Auto eine Rohrbombe auf eine Funkstreife geworfen wurde, und sie haben ihn als den Halter festgenommen. Er hat dann sechs Wochen gesessen, das hat ihn sehr verändert. Er begann, sich aus den alten Beziehungen zurückzuziehen. Zu der Zeit hatten sich eine Reihe militanter Organisationen gebildet, die Haschrebellen, die Bewegung 2. Juni, die Militanten Panther-Tanten. Eines Tages habe ich ihm eine Wohnung zur Verfügung gestellt, weil er keine hatte. Später stellte sich heraus, dass dort die ganzen Anwerbegespräche der RAF stattfanden und er dort überhaupt nicht gewohnt hatte. Ich hatte dann wegen § 129a, Unterstützung krimineller Vereinigungen, ein Verfahren gegen mich laufen. Ich bin ein halbes Jahr observiert worden, inklusive Postkontrolle und Abhören des Telefons. Holger war damals kaum noch zu sehen, doch eines Tages rief er mich an, um sich mit mir auszusprechen. Das war unser Abschied, bei dem es auch um Lebensfragen ging. Wie lebe ich eigentlich? Welche Utopie will ich leben, und was tue ich zu ihrer Verwirklichung? Das war die Zeit, als die chinesischen Kommunen hoch im Kurs standen. Die Revolution erschien damals möglich, und Holger wollte sie machen. Die Frage, an der wir uns damals rieben, ist auch heute wieder aktuell, nämlich ob es so etwas wie einen "gerechten Krieg" gibt. Es gab damals zwei Parolen: "Dem Volke dienen" und "Sieg im Volkskrieg". Holger war für die zweite, militante Parole Feuer und Flamme. Ich hatte meine Zweifel und glaubte nicht daran. Ich konnte und kann mir einen gerechten Krieg nicht vorstellen. Das hat wohl auch etwas damit zu tun, dass ich aus der DDR gekommen bin. Wir wurden in der Schule indoktriniert mit den riesigen Erfolgen der UdSSR und Chinas, jedenfalls vor dem offiziellen Bruch. Einmal die Woche mussten wir uns Filme ansehen, bei denen es um Partisanen und Freiheitskämpfer ging; Fahnen wehten und der große Mao grüßte das Volk. Das hat mich schon damals skeptisch gemacht. Als Holger Ulrike Meinhof und Andreas Baader begegnete, hatten sie schon ihre Kaufhausbrandstiftungen begangen, hatten gesessen und bestimmte militante Erfahrungen in Palästina gemacht. Und was ihn vor allem faszinierte: Sie hatten ein Konzept, das seiner Vorstellung einer Stadtguerilla sehr nahe kam. Wir greifen an. Wir machen Banküberfälle. Wir klauen uns die Autos. Die hatten die Absolutheit, nach der er suchte. Und sie fanden in ihm jemandem mit entsprechenden Fähigkeiten. Welche Rolle spielte Holger Meins bei der RAF? Ich habe erst vor kurzem nachvollzogen, was es mit seinem Decknamen "Starbuck" auf sich hat, als ich den Roman Moby Dick las. Der Name ist nicht schlecht gewählt. Ich bin der Meinung, dass er schon ein Befehlsempfänger war, nicht derjenige, der die Richtung vorgibt. Aber er hat es nicht widerspruchsfrei gemacht. Er hat nicht die grundlegenden Ideen angezweifelt, wohl aber Vorschläge zu ihrer Realisierung gemacht und dadurch ganz wesentlich auf die Gruppe eingewirkt. Darin bestand seine Autorität und auch Freiheit. Aber das sind Spekulationen, ich habe ihn nie wieder gesehen, nie wieder etwas von ihm gehört. Das Gespräch führte Volker Hummel (Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/man-trifft-auf-sehr-widerspruchliche-haltungen)

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