Musicals
Wer im Kino seine Stimme zum
Gesang erhebt oder einen Tanz wagt, bringt sie alle gegen sich auf, die
Realisten und diejenigen, denen es um "Wahrscheinleiichkeit" geht. Warum
nur? Im Musical sehen wir die coolsten Typen, die uns das Kino je
geschenkt hat. Von ihren Gefühlen übermannt, können sie sich nur noch
durch Gesang und Tanz ausdrücken. Im Liebestaumel helfen Wörter nicht
mehr weiter. Es muss gesungen werden. Aus diesem Grund ist das Musical
auch nur was für Idealisten und Romantiker. Natürlich lässt sich das
Leben so viel besser meistern! Wer singt und tanzt, überwindet
Hindernisse viel leichter! Irgendwo dort im Anderswo wartet eine bessere
Zukunft auf uns in Bonbon-Farben! Das alles gehört zum Kino seit den
Gebrüdern Lumiere. Bereits deren Filme wurden mit musikalischer
Begleitung aufgeführt. Musik-Komödien und -Dramen müssen nicht
amerikanisch sein; eine genauso lange Tradition gibt es in Indien oder
Ägypten. Es gab eine kurze Blüte im deutschen Tonfilm und im
französischen Kino der 30er, das vom Variete beeinflusst war. Jacques
Demy oder Michel Legrand erfanden das Musical dann noch einmal neu in
den frühen 60ern. Zunächst aber brauchte es den Ton gar nicht. Der
Rausch der Bewegungen, das ist schon filmisch genug! Als der Tonfilm
1927 erfunden wurde, kombinierte man Tanz, Gesang und Dialoge - ein
Prozess, der sich in langsamen Schritten vollzog. In den frühen Tonfilm
Musicals verharrt die Kamera. Wie gelähmt. Noch war der Bewegungs-Radius
der Schauspieler gering, einfach dadurch, dass die Mikros nur eine
geringe Reichweite hatten. In den kommenden 20 Jahren verwertete man in
Hollywood alle möglichen Formen des Tanzens, ob folkloristisch oder
modern. Seinen Durchbruch erlangte das Musical aber mit dem Stepptanz,
bei dem die Schritte der Tänzer als Instrument funktionieren. Busby
Berkeley nutzte diese Entdeckung während der grossen Depression und
brachte Hunderte von Tänzerinnen auf die Bühne. 1929 brach die
Wirtschaftskrise aus. Musicals halfen dem Publikum, ihrem Alltag zu
entfliehen. RKO präsentierte Fred Astaire und Ginger Rogers in einer
mondänen Deko-Welt. Zur selben Zeit inszenierte Berkeley seine Broadway
Musicals für Warner, in denen unbekannte Tänzer den amerikanischen Traum
lebten. Der Tanz musste fürs Publikum aber noch legitimiert werden. Er
bedurfte eines Vorwandes. Bei Berkeley entsteht er aus dem Kontext: Auch
Astaire und Rogers spielten oft Tänzer, denen wir eben bei der Arbeit
zusehen. Bald schon wirkten die Tanznummern nicht mehr wie eine
Unterbrechung der Handlung. Bei Astaire und Rogers erzählen sie die
Handlung weiter, auf einer intimeren Ebene. Tanzend durchleben sie alle
Stadien der Liebe. Fred Astaire legte angeblich Wert darauf, jede Nummer
in einer Sequenz zu filmen - und an diese Idee tänzerischer
Selbstbestimmung schloss in den 40ern Gene Kelly an. Aus alltäglichen
Situationen entwickelte er seine Tanz-Szenen, reagierte spontan auf
Dinge des Lebens wie einen Wischmob oder ein Paar Rollschuhe. Wie
Astaire sah man Kelly schlendern, flanieren und daraus einen Tanz
entwickeln. Während Astaire aber der feingliedrige, elegante Tänzer war,
strotzte Kelly nur so vor Kraft. Astaire fällt alles leicht, Kelly aber
ist angreifbar. Einer von uns im T-Shirt. Ein Genre braucht ständige
Präsenz auf der Leinwand, damits vom Publikum akkzeptiert wird. Nach dem
Ende des Studiosystems aber verschwand das Musical. Wurden zuvor
Schauspieler noch selbstverständlich in Gesang und Tanz ausgebildet,
blieb das später aus. Ähnlich wie der Western, konnte sich das Musical
nie ganz vom Umbruch des New Hollywood Kinos erholen. So zog der Hit The
Sound Of Music ab 1965 eine ganze Reihe teurer Flops nach sich.
Saturday Night Fever und Grease lösten Ende der 70er eine kurze
Disco-Welle aus. New Hollywood Grössen wie Francis Ford Coppola (One
From The Heart) und Peter Bogdanovich (At Long Last Love) aber
scheiterten wie Sidney Lumet (The Wiz). Für das Überleben des Genres
sorgten Disney oder Bühnen-Adaptionen. In den 80ern feierte das Disco
Musical mit Flashdance noch einmal ein kurzes Comeback und Patrick
Swayze verzückte in Dirty Dancing eine ganze Generation. Immer wieder
versuchten sich Einzelne darin, das Genre neu zu beleben: Woody Allen
(Everyone Says I Love You) , Pedro Almodovar oder Christophe Honore. In
Hollywood produzierte man Nostalgie aus zweiter Hand wie Chicago oder
Moulin Rouge. Dadurch, dass sich das Genre Musical in seiner Auflösung
befand, gewann es aber auch neue Freiheiten: West Side Story handelte
von Strassenkriegen, The Sound Of Music und Cabaret erzählten während
der 70er vom Aufkommen des Faschismus. Hair schliesslich
vergegenwärtigte das Vietnam Trauma und Alain Resnais erschloss mit La
Vie Est Une Chanson die depressive Komödie. Tim Burton schliesslich
lieferte mit Sweeney Todd das erste blutrünstige Disney Musical! Der
grösste Musical Regisseur aller Zeiten, Vincente Minnelli, lieferte
bereits in den 40ern heimliche Experimentalfilme Marke Musical (Yolanda
and The Thief, 1944). Stanley Donen und Gene Kelly drehten schliesslich
zum ersten Mal draussen auf den Strassen New Yorks (On The Town, 1949).
Konnte das artifiziellste aller Genres noch bestand haben, wenn man es
nach draussen, in die "Realität" verlegt? Einen solchen Schritt hat das
Musical nun mit Damien Chazelles La La Land wieder vollbracht. Getanzt
wird nur in Aussen-Szenen, so während eines Verkehrsstaus. Bunt wirds
trotz des Asphalts, einfach, weil die Kostüme farbig leuchten! Was ist
neu? In La La Land müssen die Musical-Nummern nicht mehr zwangsläufig
von Liebe handelt. Hier gehts auch um Weigerung oder Abschied. Die
Tänzer dürfen sogar zögerlich wirken. Ryan Gosling und Emma Stone, eine
Liebe des Augenblicks. Was danach kommt? Wir wissens nicht. Doch wozu
brauchts noch Musicals, würden sich alle Träume erfüllen? (Wir stellen
nicht die Filme, nur die links zur Verfügung. SEHT EUCH DIE LINKS
SCHNELL AN, BEVOR SIE GELÖSCHT WERDEN. 14.1.17) (Bild:
http://la.curbed.com/maps/la-la-land-filming-locations)
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