Our Daily Free Stream: Vertov - The Man With A Movie Camera
Our Daily Free Stream: Vertov - Man With A Movie Camera.
Leicht vorstellbar, wie sehr das Publikum im Jahr 1929, dem Jahr als
Vertovs Man With A Movie Camera ins Kino kam, überfordert gewesen sein
muss. Während der Stummfilm-Ära war das Publikum gewohnt, dass
Einstellungen zehn Sekunden oder länger andauerten. Hier waren es zwei
Sekunden - eine Geschwindigkeit, die uns moderne Blockbuster zumuten.
Genau darin liegt der grosse Einfluss, den Vertov ausübte! Dziga Vertov
fühlte sich eingeengt von der Tradition des Theaters. Für ihn war Kino
bis dahin nur eine Fortführung der Bühne, was ihn nicht befriedigen
konnte. Es war an der Zeit für einen neuen Stil! Ein Film, der so
schnell voranschritt wie unser Gehirn in seinen Assoziationen! Keine
Dialoge, Untertitel, kein Szenario! Eine Serie von Bildern in rasanter
Abfolge, das ist The Man With A Movie Camera! Vertov folgte gezielt
seinem Plan: Er wollte 24 Stunden aus dem Leben einer russischen
Grossstadt vorführen. Moskau, Kiew und Odessa, drei Städte, gefilmt in
vier Tagen - zusammengefasst zu einem einzigen. Es kam eine rekordartige
Summe einzelner Einstellungen zustande, die von seinem Bruder, Mikhail
Kaufman, geschnitten werden sollte (angeblich weigerte der sich
anschliessend, je wieder mit Vertov zu arbeiten). Vertov, der während
der russischen Revolution seine Karriere begann, als die
Experimentierfreude im russischen Kino ihre Blüte erreichte, bezeichnete
sich selbst als radikalen Künstler. Surrealismus und Avantgarde waren
"State Of The Art" - noch heute wirkt Vertovs Puzzle so frisch wie in
den 20ern! Und wann wurde je wieder ein solcher Versuch unternommen?
Maschinen, Arbeiter, Strassen, Strände, individuelle Gesichter(...)
Jeder darf das in Vertovs Film hinein interpretieren, was ihm am meisten
behagt. Wovon aber handelt das Werk denn nun wirklich? Davon, wie ein
Film hergestellt wird. Es gibt nur eine Figur, die durch den Film führt
(aber keinen "Charakter" darstellt): The Man With The Movie Camera. Die
Kamera auf seinen Schultern, marschiert er durch eine Kohlen-Miene oder
befindet sich auf einem fahrenden Lastwagen. Später jagt uns ein Zug
entgegen - fährt "in die Kamera hinein". Geschnitten wurde all das mit
dem Verfahren des "Intercut". Manchmal stoppt das Geschehen, die
"Action" wird eingefroren. Gibt es keine Kontinuität, dann doch
Geschwindigkeit. Fast so, als hätte der Film sich selbst geschnitten.
Eine Stilübung in Sachen Tempo! In Hollywood herrscht bis heute das
Gebot des unsichtbaren Schnitts. Vertov zerstört diese Idee! Der Film
handelt vor allem von sich selbst. Grossstadt- Dokumentationen, so über
Berlin, gab es bereits zuvor. Vertov aber zeigt nicht EINE Stadt. Er
nennt auch keinen Namen. Dadurch ist sein Fokus viel weiter. Ein
Experiment, das undenkbar ist ohne Musik. Am bekanntesten die Vertonung
der US Version durch Michael Nyman, welche die Rastlosigkeit von Vertovs
Film unterstreicht (diese Version bieten wir in der Filmkunstbar
Fitzcarraldo auf DVD an - hübsch restauriert). Vieles, was man meint,
dem späteren Kino an Experimenten zuzuschreiben - vieles, vieles lässt
sich in The Man With The Movie Camera entdecken - und geniessen!
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