Sonntag, 31. Januar 2016

Our Daily Free Stream: Jacques Rivette - La Belle Noiseuse (Edit).


Our Daily Free Stream: Jacques Rivette - La Belle Noiseuse (Edit). Zum Tod des Regisseurs Jacques Rivette, vielleicht DEM Begründer der Nouvelle Vague. - Frenhofer, der grosse Künstler, hat seit zehn Jahren nichts mehr gemalt. Er warf alles hin während der Arbeit an seinem Meisterwerk, das er La Belle Noiseuse nennen wollte. Sein Model: Die eigene Frau Elizabeth, die Inspiration für den erfolgreichsten Teil von Frenhofers Karriere. Zuerst, so Elizabeth, malte Frenhofer sie, weil sie ihn liebte. Zum Schluss, so führt sie aus, weil er sie liebte. Dann hörte er auf, fürchtend, das Werk würde diese Liebe zerstören. Frenhofer sieht nicht das Äussere, er stellt das Innere seiner Models dar. Knochen, Sehnen, die Seele. Eines Tages klopfen drei Besucher an die Tür des Chateaus, in dem Frenhofer noch immer mit Elizabeth zurückgezogen lebt. Ein Sammler, ein junger Maler und dessen Freundin Marianne. Marianne ist distanziert, unnahbar und von starkem Willen. Während des gemeinsamen Abendessens blickt Frenhofer Marianne an - und dieser Blick bezeichnet ihre gesamte Beziehung. Marianne spürt das, sie will weg von ihm, denn sie ist sich der Gefühle, die hinter Frenhofers Blick stehen, bewusst: Er wird wieder anfangen, zu malen. Jacques Rivettes Film La Belle Noiseuse ist der beste Film, den ich über die Entstehung von Kunst jemals sah! Es ist auch der grösste Film über die schmerzhafte Beziehung eines Künstlers zu seiner Muse. Rivettes Film hat eine Laufzeit von über vier Stunden. Er schnitt zusätzlich eine gekürzte Divertimento Fassung - doch wozu? Die Grösse von La Belle Noiseuse besteht darin, Zeit mit der Entstehung von Kunst zu verbringen - und mit dem Aufkeimen, schliesslich der Zerstörung von Leidenschaft. Frenhofer wird gespielt von Michel Piccoli, dessen Augen andere Schauspieler durchdringen können. Mit seiner hohen Stirn wirkt er intelligent, doch wir spüren; es ist eine furchtbare Intelligenz. Emmanuelle Béart ist eine vollkommene Schönheit mit tiefen Augen, vollen Lippen - und beeindruckender Willenskraft. Wir können nachvollziehen, was Frenhofer in Marianne sieht. Seine Frau Elizabeth (Jane Birkin) versteht es auch. Sie warnt Marianne, Frenhofer nicht ihre Augen malen zu lassen. Das Bild könnte dem Model die Lebenskraft entziehen (Wir bemerken einen Hauch Oscar Wilde in dieser Idee). So viel zum Plot, der uns aber an sich nicht weiter beschäftigt. Die stärksten Szenen des Films, sie konzentrieren sich ganz auf das Kreieren eines Kunstwerks. In seiner gemauerten Halle, seinem Studio, beginnt Frenhofer, Marianne zu skizzieren. Wir blicken ihm dabei über die Schulter (was Rivette uns in sehr langen Einstellungen ermöglicht). Ein körperlicher Prozess, wie er obsessiv seine Stifte, Pinsel und Farben sortiert. Die ersten Striche, dann Öl. Frenhofer weist Marianne eine Garderobe zu; sie versteht, legt ihren Mantel ab und wird für die nächsten vier Stunden nackt sein. Zunächst betrachten wir Emmanuelle Béart als Frau, dann als Modell. Langsam sehen wir das, was Frenhofer meint: Ihr Innerstes, ihre Essenz, ihr Sein. Er bewegt ihre Arme und Beine wie die einer Puppe. Sie beschwert sich über eingeschlafene Beine und verlangt nach einer Zigarette. Frenhofer nimmt sie ihr weg und biegt sie erneut in Position. Hört es sich langweilig an, einen Mann einfach beim Malen zuzusehen? Mitnichten! Spannung wird langsam aufgebaut. Ein Kampf um den stärkeren Willen entwickelt sich. Marianne ist eine Zumutung, eine Belästigung. Elizabeth übersetzt "noiseuse" mit "nutty". Marianne ist verrückt. Das ist es, was Frenhofer will! Sie beginnt zu verstehen und willigt ihrer Determinierung zu. Nun ist es Marianne, die die Arbeit antreibt. Am Tag als La Belle Noiseuse vollendet ist, bekommen wir es nicht zu sehen. Marianne beschreibt, wie sie darin etwas sah, kalt und trocken - sich selbst. Das muss uns reichen. Nachts schleicht Elizabeth ins Atelier und begreift: Sie markiert das Bild mit einem Kreuz. Es bezeichnet Frenhofers Tod. Stell dir diese Atmosphäre nun vor mit den Geräuschen, die Rivette verwendet im alten Schloss. Wir hören den Wind in den Wäldern draussen und in den alten Mauern, Fusstritte, das Zuschlagen einer alten Tür. Es ist kein Zufall, dass La Belle Noiseuse wie ein Spukfilm wirkt. Elizabeth erwähnt, dass es in den alten Mauern spukt. Wir hören das Kratzen der Stifte auf dem Papier (und das zunehmend lauter). Während einer Szene sehen wir Marianne unter einem Kreuz gebeugt. Zunächst weint sie leise, dann beginnt sie zu lachen - immer stärker. Das Kratzen des Stifts dabei, wir meinen es immer noch zu hören, obwohl Frenhofer ihn beiseite gelegt hat. Man sagt, die Nouvelle Vage hätte nur stattgefunden wegen ihm: Jacques Rivette. Er selbst war nie so berühmt wie seine Weggefährten. Dafür gestalteten sich Rivettes Filme als zu lang und kompliziert. In La Belle Noiseuse sehe ich jedoch nicht den geringsten Grad an Schwierigkeit! Ich wünsche mir den Film genauso lang wie er ist - nicht eine Minute weniger! Ich habe mitgefühlt beim Kampf im Atelier, bei der entstehenden Bindung. Piccoli verkörpert exakt Frenhofers Vorstellungen und bedarf dafür keiner Worte. Béart ist von ätherischer Schönheit mit dem Wahnsinn, der Frenhofer an Marianne fesselt. Ist die Kälte in La Belle Noiseuse, die Marianne darin sieht, das, was Frenhofer für sie erhoffte? Frenhofer wird das Werk nicht zerstören, jedoch auch nicht ausstellen. Aufschluss gibt die Figur der Elzabeth, verkörpert durch Birkin: Gab es je Momente, da sie wünschte, Frenhofer hätte beider grösstes Kunstwerk vollendet? Sie weniger geliebt? Es ist schlicht so, dass sie die Grösse ihres Mannes erkennt. Elizabeth glaubt an diese Grösse - das erklärt alle unaufgelösten Fragen in La Belle Noiseuse (wovon es einige gibt).

Samstag, 30. Januar 2016

Jacques Rivette ist tot!


 Gestern, am Freitag den 29.1.2016 starb Jacques Rivette im Alter von 87 Jahren. Nach Eric Rohmer und Alain Resnais verlieren wir einen weiteren Begründer der Nouvelle Vague. Seine frühen Filme, im Stil der Neuen Welle inszeniert (Paris nous appartient (1961) und der fast fünfstündige L'amour fou (1969), hatten beim Publikum keinen Erfolg. Immerhin, nach Claude Chabrol war er der zweite Kritiker der Cahiers Du Cinema, der seinen eigenen Langfilm verwirklichte. Die Ausrüstung geliehen, die Darsteller ohne Gage - eine Non-Budget Produktion, die sich über zwei Jahre zog. Als Paris nous appartient aber ins Kino kam, drückte er wie kein zweiter Film den Aufbruch, aber auch die Beklemmungen im Studenten- und Theater-Milieu aus. Seine Themen hatte Rivette früh gefunden, seinen Stil verfeinerte er durch seine gesamte Karriere. Rivettes Filme sind experimentell und lang. Sein längstes Werk sogar über dreizehn Stunden: Out 1: Noli me tangere. Einige dieser langen Rivette Filme habe ich gesehen und war am Ende jedes Mal der Meinung, dass ich noch nicht genug hatte. Seinen besten Film, La Belle Noiseuse (Die schöne Querulantin), hatte ich mir im Hochsommer auf VHS im Berliner Videodrom geliehen. Ich ging noch zur Schule, im Garten werkelte meine Mutter. Drinnen: Der Künstler und das Modell, ein Psycho-Duell über sechs Stunden. Nur sechs Stunden? Wozu überhaupt aufwendige Montage, wenn man die Szenen auch minutenlang durchspielen kann? Emmanuelle Beart, wie sie sich schüchtern, entkleidet, Michel Piccoli, der sie wie ein Raubtier umkreist. La Belle Noiseuse ist kein Film über Malerei, sondern IST Malerei. Rivettes Balzak Adaption hat sich den Überschuss des Erzählens des Literaten einfach auf der Leinwand zu eigen gemacht. Gern filmte Rivette auch ohne Drehbuch: Céline et Julie vont en bateau; ein modernes Märchen, ein Spiel um Schein & Sein. Kann man Ereignisse ungeschehen machen? Rivette erfand das Kino ein Stück weit neu und brachte Verzauberung und Intellekt zusammen. Dafür lieben wir ihn! Bedingungslos! Deshalb gibt es nicht nur die Möglichkeit, seine besten Filme in der Filmkunstbar Fitzcarraldo zu leihen (gleich oben in unserer Rivette Reihe), sondern eben auch die, einige Raritäten zu streamen. Einfach auf den Filmtitel klicken und ihr landet bei youtube.





Our Daily Free Stream: Louise Hires A Contract Killer - Louise-Michel (german dubbed).





 Our Daily Free Stream: Louise Hires A Contract Killer - Louise-Michel (german dubbed). Das letzte Wochenende des Sundance Filmfestivals 2016 läuft. Wir setzen die Reihe fort mit Sundance Filmen und diesmal gibts einen aus der Competition "World Cinema", heisst, aus Frankreich: Ein Berg von einer Frau: Die Haare hängen fettig um den Kopf und wir tragen Sorge, dass sich die Besitzerin, Louise-Michel, davon nicht selbst gestört fühlt. Louise trägt einen Trenchoat, in dem ihr vorgebeugter Gang mit rudernden Armen besonders unheileinflössend zur Geltung kommt. Ihre Miene ist versteinert, in seltenen Augenblicken überrascht sie uns aber mit ihrem Blick: Louise hat die unschuldigen Augen eines Kindes. Sie kann nicht lesen und schreiben. Abends schaut rupft sie sich eine Taube als Braten. Yolande Moreau spielt Louise; es ist ihre Kunst, dass man dieser Figur Sympathie schenkt. Denn Louise ist eben auch schüchtern und verunsichert. Vor allem aber arm. Sie arbeitet in einer schäbigen Fabrik, in der immer der Boss gewinnt. Das zeigt sich bereits beim Kinderspiel "Stein Schere Papier". Deshalb ist er auch der Boss. Die Maschinen der Fabrik aber wurden längst nach China verkauft. Eines morgens betreten Louise und ihre Kolleginnen die leere Halle. Gemeinsam überlegen sie, was sie mit ihrer lächerlich geringen Ablösung zusammen machen können. Einen Akt-Klendar produzieren? Einen Imbiss eröffnen? Louise, die ansonsten kaum spricht, meldet sich mit dem vernünftigsten Vorschlag: Einen Auftragskiller anheuern, um den Chef umzubringen. Die Damen nicken nach einiger Überlegung und stimmen zu. Louise macht sich auf die Suche, als einem Mann mit merkwürdiger Mädchenfrisur eine selbstgebaute Waffe aus dem Mantel fällt: Michel (Bouli Lanners) ist Unternehmer einer Sicherheitsfirma. Seine Mobilnummer gilt nicht mehr, seine Emailadresse ist veraltet und er findet nicht gleich den Container, in dem er lebt und so etwas wie ein Büro unterhält. Michel aber erklärt Louise, er sei ein Profi. Zur Erfüllung seines Auftrags, schleicht er ins Krankenhaus, wo seine Cousine, an Leukämie erkrankt, ihre letzten Tage verbringt. Er stützt sie, so dass die Totkranke stolpernd vor dem Chef erscheint und abdrückt... Gustave de Kervern und Benoît Delépine haben sich einem tagespolitisch aktuellen Thema zugewandt: Der internationalen Finanzwirtschaft. Wer ist überhaupt der "echte" Chef eines modernen Unternehmens? Wer ist verantwortlich? Die Rache Geschichte der Louise-Michel wird verpackt in Szenen, die auch aus dem Surrealismus der Zwanziger stammen könnten - aber viel anarchistischer sind. Damals warf man den Surrealisten vor, sie griffen das Bürgertum an, ohne aber politische Kante zu bekennen. Genau das machen die Belgier De Kervern und Delépine! Die Schrecken der Gesellschaft, menschliche Demontage, Einsamkeit und Tod - Yolande Moreau als Louise drückt all das aus mit ihren traurigen Augen (wann gab es zuletzt im Kino eine Figur, die mich so bewegt hat?). Die Geschichte der Louise beginnt mit sozialer Ungerechtigkeit. Sie endet aber auf der Suche nach dem Glück - und das findet Louise in der Anarchie. "Energie, aus Verzweiflung geboren, wird niemals besiegt", schrieb Louise Michel, die grosse Anarchistin des 19. Jahrhunderts und ihr ist der Film gewidmet. Anarchist, das ist auch Michel, der sich nach seiner erledigten Arbeit als Steptänzer beweisen darf. Ein Unsinn mit sehr viel Sinn.