Dienstag, 31. Juli 2018


Filmliste: Los Verses Del Olvido + Latin Mindgame Movies


Ein Film wie eine Meditation. Über das Licht, über das Menschsein an sich. Intelligent und sensibel und von atemberaubender Schönheit! Ja, das ist ein Film, der sich allein wegen seiner Bilder lohnt. Wer sich noch an die wilden Jahre des südamerikanischen Kinos erinnert, an Meilensteine wie Amores Perros oder City Of God, wird sich wundern. Nun, dieses Kino ist gewachsen bzw. erwachsen geworden. Die Lust am Fabulieren und die Abkehr ausgetretener linearer Erzählpfade sind geblieben(…)

Freitag, 27. Juli 2018

NOMADENKINO: Symphony Of Now (30.7. Holzmarkt)


MONTAG 30.7. NOMADENKINO IM HOLZMARKT: Symphony OF NOW (Heute ausverkauft!!!) Ein bisschen Stolz sei uns gegönnt, denn unsere heutige Vorstellung von Symphony Of Now ist ausverkauft!!! Ist ja auch heiss genug, um abends gemütlich draussen zu glotzen. Natürlich gibts noch eine Chance, dieses Tribute an Walter Ruttmanns Klassiker zu sehen und zwar am 30.7. im Holzmarkt (Holzmarktstr. 25 um 21.30 wie immer). Unsere Rezension dazu: Berlin, die ewige Party... Johannes Schaff begib...t sich auf die Spuren eines übergrossen Vorbilds: Walter Ruttmanns Grossstadt-Sinfonie aus dem Jahr 1927. Er erfindet sie neu im Geiste des elektronischen Sounds. Immerhin, Mut beweist er: Ruttmann, bewunderter (und umstrittener) Avantgarde Künstler als Messlatte! Berlin - Die Sinfonie der Grossstadt ist ein Meilenstein der experimentellen Doku und hat in den späten 20ern nicht zuletzt den Berlin Mythos mitbegründet. Seit ich die Diskussion darum bewusst verfolge, also seit den späten 80ern, sucht der Berliner die Vergangenheit. Die Salons der 20er Jahre. Generationen arbeiteten sich daran ab, diesen Mythos wieder zu beleben. Ich kann mich an Diskussionen über das "klassische" Berlin in abgerockten Fabrikhallen erinnern. Der Salon-Gedanke wurde neu formuliert von Zeitgenossen, die kaum noch gerade aus gucken konnten. Dabei hatten wir unser Berlin doch längst erschaffen! Ganz ohne Nostalgie! Schaff zollt ihm nun Tribute mit seinem elektronischen Remake eines Stummfilmklassikers. Doch natürlich lebt auch Symphony Of Now (was für ein '"bescheidener Titel!) von Nostalgie. Wie wäre es aber, sich Ruttmanns Original noch einmal kritisch anzusehen? Sicher, Ruttmann entwickelte einen perfekten Rhythmus, doch nicht nur der Filmtheoretiker Siegfried Kracauer versuchte damals, etwas Tiefes, Menschliches in Ruttmanns Bilderfetzen zu entdecken. Schliesslich wandelte sich der Avantgardist sogar zum Diener Hitlers! Und Schaff? Auch ihm geht darum, zu Techno Klängen Bilder aneinander zu schneiden. Und sonst? Sehen wir etwas von unseren sozialen Problemen in Berlin? Symphony Of Now entspricht dem Original, indem es locker in vier Akte, dem Ablauf eines Tages, aufgeteilt wird. In schnellen Schnitten werden Menschen, Fassaden und Strassen vorgeführt. Für Details aber bleibt nie genügend Zeit. Dafür gibt's reichlich Prominenz, wenn auf einmal Rosa von Praunheim durchs Bild latscht (zu den Klängen unserer Avantgarde Halb-Götter Thomas Fehlmann und Gudrun Gut!). Berlin als Techno Hauptstadt. Das ist gar nicht so neu, aber einleuchtend. Ich hätte mir aber mehr Hier & Heute gewünscht. Wie ist es denn nun wirklich in unserer Stadt?
YOUTUBE STREAM: Dennis Villeneuve - Enemy



Die Stärke des Kanadiers Denis Villeneuve sind die brutalen Konflikte des realen Lebens. Enemy ist anders. Der Film nimmt eine traumhafte, subjektive Perspektive ein. - In José Saramagos Romanvorlage wird Chaos als noch nicht aufgelöste Ordnung verstanden. Jake Gyllenhaal spielt Adam, einen gelangweilten Geschichtsprofessor. Er verrichtet sein Tagwerk, hält langweilige Vorlesungen und hat freudlosen Sex mit seiner Freundin ­Mary (Mélanie Laurent). Sein Apartment wirkt so leer, als ob niemand darin wohnen würde. Adam fehlt etwas. Eines Abends aber schaut sich Adam einen Film an und bemerkt, dass eine der Figuren (die eines Hotelpagen) exakt so aussieht wie er selbst. Der Schauspieler Daniel Saint Claire, der im wirklichen Leben Anthony Claire heisst, spielt den Pagen. Adam ruft den Schauspieler an und steht ihm schliesslich gegenüber. Der Doppelgänger ist verheiratet mit der schwangeren Helen (Sarah Gadon) und auch in seinem Leben fehlt etwas. Nun spinnt Villeneuve einen Reigen um Identität, Erotik und Macht (...)

Dienstag, 24. Juli 2018

YOUTUBE STREAM: Alfred Hitchcock - To Catch A Thief


Wer aufs Fernsehen angewiesen ist oder auf solche Dödel-Formate wie Netflix, der kann kaum noch Filmklassiker ansehen. Eine merkwürdige Vorstellung: Ein Leben ohne die Hollywood Klassiker, die ich so sehr liebe! Wer also nicht in der Nähe unserer Videothek lebt, kann zumindest diesen unseren YouTube Service nutzen. Wir suchen Filme auf YouTube, die ihn guter Qualität laufen. Gerne auch Klassiker! So wie Hitchcocks To Catch A Thief, in dem eine Zeit wieder auflebt, die wir durch das heutige ruppige und elende Amerika fast vergassen. Die Zeit der amerikanischen Superreichen. Wer weiss; womöglich war Hitchcock einer der Letzten, die diesen Typus auf so extravagante, aber auch auf eine derartig verehrende Weise vorführten: Solche Typen, die ihre Zigarette im Eigelb ausdrücken. Schauplatz dafür: Der Süden Frankreichs, der erstrahlt in Zynismus, aber auch in Diskretion. Und wo sonst passt der strahlend blaue Himmel so schön zu den Diamanten, vor denen Hitchcock sich verneigt? Deshalb beginnt To Catch A Thief auch mit dem Kreischen einer Dame, der man genau diese Diamanten stahl. Cary Grant verkörpert John Robie, der ein unauffälliges Leben an der Cote D'Azur führt. Früher einmal war er Juwelendieb und deshalb ist es auch er, den man sofort verdächtigt. Nur eine Möglichkeit bleibt Robie, seinen Namen reinzuwaschen: Er muss den wahren Dieb stellen. Während dieser Mission trifft er auf die schöne Francie, gespielt von der eisblonden Grace Kelly. Francie ist ein verhätscheltes amerikanisches Mädchen. Reich und gelangweilt, aber der Name John Robie lässt sie aufhorchen. Francie selbst besitzt Diamanten, die wir als Symbole von Sex, aber auch von Unnahbarkeit begreifen. Wie geschaffen für einen Dieb! Deshalb versucht sie, Robie zu provozieren. Er sei wie ein "American in an english movie". (...)

Sonntag, 22. Juli 2018


Sonntagsfilm! YOUTUBE STREAM: Alfred Hitchcock - The Birds


Endlich bin ich reif genug für Hitchcocks The Birds! Jetzt mit 45 kann ich akzeptieren, dass es in Hitchcocks Filmen keinerlei philosophische Statements gibt (die ich früher gesucht hatte) - es sei denn ironischer Natur. Nichts wird ernst genommen. In The Birds dürfen wir weder Antworten, noch die Hoffnung auf Rettung erwarten. Ganz langsam bricht das Chaos aus... The Birds - essentieller Hitchcock! Eine Krähe nach der anderen landet auf dem Schulhof in Bodega Bay. Wer weiss, vielleicht lockte sie der Gesang der Schulkinder oder die blonden Haare Melanie Daniels (Tippi Hedren)? In dem Moment, da sich Melanie umwendet, sind es bereits Dutzende der schwarzen Biester - "She cumbs her hair but once a year"; singen die Kinder. Weshalb die Vögel sich verändern und angreifen? Ich habe keine Ahnung. "I don't know why"; überlegt Melanie. "Wish I could say"; bemerkt Mitch Brenner (Rod Taylor). The Birds wie beschrieben, verweigert Antworten und jede Möglichkeit einer Flucht. Auf imdb können wir lesen, dass Hitchcock The Birds von einer Geschichte Daphne du Mauriers adaptierte. Die Erzählung einer vornehmen Frau, die in eine Kleinstadt kommt. Genauso wie Melanie, die in Botega Bay landet, um einen Rechtsanwalt zu täuschen. Jedenfalls sind die Vögel nach kurzer Zeit überall. Wie Bomben durchbrechen sie Fensterglas, so dass Ezekiel, der Clochard von Bodega Bay, das Ende der Welt nahen sieht. Generationen von Kritikern stützten sich auf die Aussage einer hysterischen Frau, die Melanie alle Schuld daran gibt ("I think you are the cause of all this") - der Versuch von Sinnstiftung in The Birds. Die Vögel als Ausdruck von Lust und Sex? Oder drücken sie einfach nur rasende Wut aus? Sämtliche Charaktere in The Birds finden überhaupt keinen Zugang zu ihren Gefühlen. Alle sind verhalten, ja fast verklemmt. Dann aber löst Melanie ihr Haar - die Maske fällt. In dem Moment, da ihr Haarband gelöst wird, können wir die Vögel singen hören (wo sie doch sonst nur kreischen oder schreien). 1963 kam The Birds in die Kinos und wird gemeinhin als letzter grosser Hitchcock Film betrachtet. Als Essenz seines Schaffens! Am meisten liebe ich Hitchcocks Mut, seine B-Movie Idee mit Arthaus Versatzstücken zu kombinieren (die Kameraarbeit, der Score, die trockenen Dialoge). Hitchcock hatte es nicht mehr nötig, uns von der Logik seines Geschehens zu überzeugen. Versuchte er noch zuvor, den Wahnsinn eines Norman Bates zu erklären, vertraut The Birds ganz auf seine unheilvolle Atmosphäre. Alles bleibt offen, das Geheimnis wird nicht gelüftet...

Donnerstag, 19. Juli 2018

YOUTUBE STREAM: Dario Argento - Tenebre


Hier kommt eine Wahrheit, die für sämtliche Filme von Dario Argento gilt: Sie alle sind wahnwitzig! Jeder seiner Plots dürfte selbst für den leichtgläubigsten seiner Fans offensichtlich sein. Argento erzählt unsinnige, ja widersinnige Geschichte mit Dialogen - gleichwohl ob in italienisch oder englisch! - wie sie flacher kaum sein könnten: “Say, where’s Ann, my secretary?” Wohlbemerkt, das gilt für seine Erfolgsfilme der 70er und für seine "neuen" Filme sowieso. So lächerlich seine Plots aber auch sein mögen, wenn Argento Action choreographiert, dann tut er das so präzise wie sonst niemand! Und so morbide! Argento ist besessen vom Tod. Es MUSS getötet werden! Diese Besessenheit der Inszenierung des Tötens macht ihn zu einem der Meister-Regisseure des Kinos schlechthin. Vom Kino der Sensationen! Er führt uns nicht das Leben vor, sondern Glassplitter, die sich in die Halsschlagader bohren und Rasierklingen. Diese Lust ist es, die so viele inspirierte (...)

Mittwoch, 18. Juli 2018

Filmliste: Symphony Of Now + Berlin Techno Movies

(NOMADENKINO UND CINEGEEK ZEIGEN DEN FILM AM 27.7.18 IM HOLZMARKT) Wer Symphony Of Now mochte, dem gefällt auch... Es ist doch bezeichnend: Walter Ruttmann versuchte in seinem Berlin: Die Sinfonie der Grosstadt den Rhythmus der Stadt dem der Arbeitswelt anzugleichen. In seiner Doku dominierten Maschinen. Johannes Schaff inszeniert unsere Stadt nachts als Feierei. Heute lebt der Berliner nach Sonnenuntergang und zwar wie weggetreten. Grund genug, diesem ambitionierten "Remake" eine Filmliste voller Berlin Techno Filme anzuhängen. Noch interessanter wird das, indem man den Spuren der Berliner Clubklassiker nachsteigt: Dort, wo sich unten in der Reinhardtstrasse der Bunker befand oder dort, wo das E-Werk seine Pforten öffnete. Oder der Eimer in der Rosenthaler Strasse oder das (zweite) WMF am Potsdamer Platz (wo sich früher die Mauer durchschlängelte). Oder, oder, oder - aber gibt's noch Filmaufnahmen?(...)

Montag, 16. Juli 2018

Nomadenkino und cinegeek.de


Wir von der Filmkunstbar Fitzcarraldo und unserem Internetauftritt cinegeek.de haben uns einen neuen alten Partner angelacht: Nomadenkino. Hinter dem Nomadenkino steht Werner, der mit seiner tragbaren 35mm Maschine in verschiedenen Spielstätten auftaucht. Wohlbemerkt; Wir sprechen hier von echten Filmstreifen und zwar solchen, die 35 Millimeter breit sind (nicht etwa der digitalen Beamer Variante). Werner karrt seine Maschine ins Badeschiff, den Klunkerkranich, das About Blank oder in die ehemalige Bar 25, den Holzmarkt. Dort wird der Apparat dann angelassen. Um sich das vorzustellen, muss man sich die Anfänge dieser Geschichte vor Augen führen. Als die 35 Milimeter Maschine noch in einem kleinen Ladenkino in Friedrichshain betrieben wurde. Und das Ding rattert! Viel zu laut, um währenddessen gemütlich einen Film zu schauen. Deshalb wurde ein zweiter Laden angemietet im Haus nebenan. Die Idee: Ein Durchbruch zwischen den beiden Aussenwänden, um von einem Gebäude ins nächste zu projizieren. Eine wahnwitzige Tat! Man benötigt dazu: Einen sehr, sehr, sehr langen Bohrer + sehr viel Geduld. Nach etwa einem Tag durchdringt der Bohrer die beiden Gebäude, nach einem weiteren kann man sich mit dem Vorschlaghammer durcharbeiten. Ein Loch, gross genug für eine Kinovorführung! Einige Zeit später betrat ein befreundeter Architekt das "Kino" und staunte: "Donnerlüttchen. Ihr habt Glück, dass nicht beide Gebäude abgesunken sind!". Immerhin gelang es Werner K., der den Bohrer führte, das Objekt für künftige Zeiten zu entwerten. Als man ihm mit einer üppigen Mieterhöhung kündigte, hinterliess er einen Laden mit Loch. Von Anfang an hiess das Konzept aber auch, zu reisen. Die 35 Millimeter Maschine tauchte auf der Fusion auf (wo es zum Eklat kam, weil neben Filmen auch Hähnchen Schnitzel verkauft wurden) oder in der Bar 25. Nomadenkino ist heute überall zu Gast, sogar im Schloss Schwante! Betrieben von einem Mann, der wenig spricht, aber viele Ideen hat. Letztens erklärte er mir sogar, wie man Kino mit einem Auto betrieben könnte... Nun wollen wir gemeinsam das Programm gestalten. Ich bin natürlich der Lehrling, da Werner die Erfahrung hat, welche Filme wo laufen (die Druffis im About Blank mögen andere Sachen als die Gäste im Silent Green, Wedding). Nomadenkino und cinegeek.de machens jetzt wieder zusammen und hier findet ihr den Spielplan!(...)

Sonntag, 8. Juli 2018


Filmliste: Alejandro Jodorowsky Endless Poetry + Modern Surrealist Movies


Endless Poetry ist das Werk eines 88jährigen Künstlers und doch wirkt es wie der Film eines jungen Wilden. Jede Figur im Film verweist auf ihn zurück, Alejandro Jodorowsky. Alle Kunst wurde von Männern geschaffen. Von einem Mann. Ihm, Alejandro Jodorowsky. Ein Tribute an sich selbst. Zum Kinostart von Endlesss Poetry bin ich runter in unser DVD Archiv der Filmkunstbar Fitzcarraldo, um die besten surrealistischen Filme der letzten Jahre zu sammeln. Hier kommt meine Auswahl.

Samstag, 7. Juli 2018

Zum Tod von Claude Lanzmann: YOUTUBE STREAM Shoah


Zum Tod von Claude Lanzmann, der das Leben so tief und innig liebte! Über neun Stunden lang sass ich da (auf meiner angestammten Video Couch) und sah mir Shoah an. Nach dem Abspann sass ich noch ein bisschen länger dort auf meiner Video Couch und starrte einfach nur in die Luft. Ich versuchte, meine Emotionen zu fassen. Ich hatte eine Erinnerung an das schrecklichste Kapitel der Menschheitsgeschichte gesehen und gleichzeitig einen Film, der mit voller Leidenschaft JA! zum Leben sagt! Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, Shoah zu fassen? Wie sollen wir dieses Werk durchdringen? 550 Minuten lang ertragen wir Qualen und Schmerz im Angesicht des Holocausts. Welcher Film trägt sein Ansinnen so nobel vor wie Shoah? Shoah ist hebräisch und bedeutet so viel wie Chaos. Eine Umschreibung des Holocausts. Shoah ist eine Doku und bietet trotzdem kein Bildmaterial aus den 40er Jahren. Es gibt keine Materialien aus den Nachrichten oder Archiven. Es gibt auch keine Interviews aus der Zeit. Es wird überhaupt nicht auf Bild-Materialien der Täter zurückgegriffen. Sämtliche Bilder filmte Regisseur Claude Lanzmann während der ersten Hälfte der 80er Jahre selbst. Überraschenderweise spürt er die damaligen Opfer auf. Menschen, die dabei waren, die sahen und hörten, was damals geschah. Eine kleine Handvoll der Protagonisten sind Holocaust-Überlebende. Die Restlichen sind Deutsche oder Polen, die in den Konzentrationslagern arbeiteten. Sie reden und reden. Shoah stellt eine Flut, ja eine Lawine von Wörtern dar. Lanzmann zeigt die Gesichter der Zeitzeugen sowie die Orte, an denen alles geschah. Es sind die Routen der Züge, die Millionen von Juden, Homosexueller, Gypsies (...) durch Polen transportierten, an die Orte ihres Todes. Ruhig, ganz still, gleitet die Kamera über Weideflächen. Dann erfahren wir, dass sich darunter Massengräber befinden. Lanzmann ist ein geduldiger Fragensteller. Er interessiert sich vor allem für die Details. Seine Fragen sind offen gehalten. Eine der berührendsten Sequenzen ist die, da Lanzmann Abraham Bombain in Tel Aviv interviewt. Bombain ist Frisör. Im Konzentrationslager rasierte er die Schädel der jüdischen Frauen, die anschliessend vernichtet wurden. Wie kann das Haar einer Frau wertvoller sein als sie selbst? Lanzmann fragt: Du hast ihre Haare geschnitten. Mit einer Schere? Gab es keine Spiegel? Du sagtest, es wären 16 Frisöre gewesen. Wie viele Frauen befanden sich gleichzeitig im Raum? Während Bombain antwortet, sitzt vor ihm ein Kunde, den er frisiert. Nach einer Weile bittet Bombain, die Fragen einzustellen. Er kann nicht mehr antworten. Es ist zu grauenhaft. Lanzmann insistiert: "Wir müssen das tun. Du weisst das". Bombain antwortet: "Ich sehe mich ausserstande". Lanzmann wiederum: "Es muss sein. Es tut mir sehr leid". Lanzmann ist grausam und äusserst korrekt. Er ist sich dessen bewusst, dass bald alle Überlebenden des Holocaust gestorben sein werden und er diesen Bericht vorher fertigstellen muss. Manchmal agiert Lanzmann sogar hinterhältig. Für die Interviews der Täter nutzt er eine versteckte Kamera, die ihre Gesichter einfängt. Einige der Nazis bitten darum, dass diese Aufzeichnungen privat bleiben. Sie bleiben es nicht. Die Interviews mit den Deutschen werden unterbrochen durch Bilder der Schienen, auf denen die Züge in die Konzentrationslager rollten. Wir haben Zeit, unseren Gedanken freien Lauf zu lassen. Wie eine Meditation. Shoah ist ein langer Film, aber kein langsamer. Ich bemerkte dieses eigentümliche Phänomen, wie die Wörter Bilder kreierten. Vorstellungen. Wir hören die Erzählung von Filip Muller, einem Juden, der am Eingang der Gaskammern arbeitete. Er erinnert sich, wie das Gas langsam eingelassen wurde. Dann wird es schwarz. Das Licht wird ausgeschaltet. In den Gaskammern war es dunkel. Die Opfer spürten, wie etwas von unten kam, versuchten, nach oben zu klettern. Sie dachten, dort oben wäre noch etwas Luft zum Atmen. Lanzmann fragt, was geschah, nachdem die Türen wieder geöffnet wurden? Die Toten fielen heraus. Steif, wie Blöcke aus Stein. Muller beschreibt etwas, was weder er - noch andere - je sahen. Es war schliesslich dunkel. Bis dahin hatte ich mir nie eine rechte Vorstellung der Gaskammern machen können. Muller nahm mich nun mit hinein. Genau das vermag Shoah - und genau das ist die grosse Leistung dieses Films! Nach neun Stunden ist der Holocaust nicht mehr bloss "Subjekt" - ein Kapitel der Geschichte. Er wird zu unserer direkten Umwelt. Er umgibt uns. Ein Lockführer der Route nach Treblinka wird gefragt, ob er die Schreie der Opfer in den Wagen hinter ihm hören konnte. Natürlich. Die Wagons befanden sich direkt hinter der Lokomotive. Man konnte alles ganz genau hören. Lanzmann will wissen, ob man sich daran gewöhnt? Der Lockführer verneint. Hinter ihm waren Menschen. Menschen, so wie er selbst. Die Deutschen gaben ihm Wodka zu trinken. Ohne Wodka hätte er es nicht ausgehalten. Die merkwürdigsten Passagen in Shoah stellen die Interviews der Verantwortlichen dar. Keiner von ihnen, die organisierten, dass die "Endlösung" schnell und unauffällig vonstatten ging, scheinen eine Vorstellung des Grauens zu haben. Mag man ihnen glauben, wenn sie behaupten, niemanden persönlich getötet zu haben? Sie alle waren nur ein Glied in einer langen Befehlskette. Sie trugen ihren kleinen Teil zum grossen Ganzen bei. Was fühlte der Mann, der die Züge der Juden koordinierte. Hat er je selbst einen Zug gesehen? "Nein, niemals"; antwortet der Mann. "Es gab soviel Arbeit. Ich verliess nie meinen Schreibtisch. Wir arbeiteten Tag und Nacht". Ein anderer Mann lebte nur 150 Meter von der Kirche entfernt, vor der die Juden zusammen getrieben wurden. Hat er je in einen Transporter hinein geschaut? "Nein, niemals". Es sind die Stimmen von Menschen, die sahen und hörten, was geschah. Sie wussten, dass der Holocaust existiert. Ich bemerkte meine eigene Tendenz, eine Distanz aufzubauen zwischen mir selbst und dem Geschehen dort im Film. Schliesslich liegt das alles lang zurück. Die Verbrechen in Shoah aber wurden von Menschen wie uns gegen Menschen wie uns verübt. Es macht keinen Unterschied, ob das in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts war. Dann ist da noch diese viel tiefere Botschaft des Films. Es ist Filip Muller, der erzählt, wie er die Opfer auf ihrem letzten Gang ins Gas beobachtete. Auf einmal begannen zwei von ihnen zu singen: The Hatikvah und die tschechische Nationalhymne. Sie bestätigten es: Wir sind Juden! Wir sind Tschechien! Sie verneinten Hitler. In diesem Moment fühlte Muller, wie sein eigenes Leben bedeutungslos wurde. Wozu sollte man noch weiterleben? Er entschloss, sich, ihnen in die Gaskammer zu folgen. Seinen Leuten! Lanzmann hakt nach: "Du warst bereits in der Gaskammer?" - "Ja". Doch ein paar Frauen hielten ihn auf. Sie fragten, ob er sterben wollte? Es wäre sinnlos. Er würde ihnen damit nicht ihr Leben zurückgeben. Sie forderten von Muller, lebend von ihr fortzukommen. Als Zeuge. Um vom Grauen zu berichten. Das ist die Botschaft von Shoah! Ein Film, der weder Dokumentation, noch Politik oder Propaganda ist. Shoah ist ein Zeugnis. Lanzmann tut das, was uns Menschen vom Tier unterscheidet: Die Fähigkeit, ein Ereignis zu behalten und an die nächste Generation weiterzugeben. In Deutschland gibt es derzeit die Debatte, diese Erinnerung um "180 Grad" zu vergessen. Auf dass der Mensch erneut alles Humanistische negiert. (Bild: https://www.google.de/search?q=shoah+film&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwirlva9-4zcAhWHJlAKHQymCiMQ_AUIDCgD&biw=1242&bih=591#imgrc=UWRX3YywPQ22BM

Montag, 2. Juli 2018

Nico, 1988


Andy Warhol, er war letztlich zu viel für Nico. Die Allerschönste seiner "Superstars" war gelangweilt und unzufrieden, nachdem er sie "gemacht" hatte. Eine Frau, von der Natur ganz ungewöhnlich beschenkt, nur dass sie sich an diesen Geschenken nicht erfreuen konnte. Nico hasste ihre Schönheit, die sie als Teenager auf die Titelseite der französischen Vogue brachte. Sie war überdrüssig vom Leben, von der Liebe, vom Sex. Grosse Teile ihres Lebens brachte sie damit zu, sich Heroin zu beschaffen. Sie schlug den Weg einer Sängerin ein, obwohl sie es hasste, zu singen und keinen Ton halten konnte. Der Tod, als er 1988 endlich kam, muss wie eine Erlösung für Nico gewesen sein! Nico alias Christa Paffgen wurde 1939 in Köln geboren. Sie lebte während der 50er in Paris, hatte einen kurzen Auftritt in Fellinis La_Dolce_Vita. Dann stellte Bob_Dylan sie Andy Warhol vor. Nico trat auf in Chelsea Girls (wo sie unaufhörlich mit ihren Haaren spielte) und promotete The Velvet Underground. Sie spielte Tambourine, sang gemeinsam mit Lou Reed, einem ihrer zahlreichen Lover. Als sich die Warhol Gefolgschaft auflöste, driftete Nico zurück nach Europa, formierte eine Band und tourte. Ihr ganzes Leben spielte sich im Tourbus ab, wo sie ständig auf den nächsten Fix aus war. Nico war stolz auf ihr fettiges Haar und ihre fauligen Zähne. Ein Junkie mittleren Alters. 1986 stieg sie um auf Methadon, 1988 starb sie, weil sie sich zu sehr der Sonne aussetzte, so ihr Sohn Ari. Uuuuh! Nico, 1988 zeigt nun ihre späten Jahre als totgeweihte Sängerin, die danach trachtet, ihre Schönheit zu zerstören. Ein Film, der nichts zu tun hat mit dem Model Nico oder The Velvet Underground. Die gängige Meinung über Nico, sie wurde einfach nach ihrer Zeit mit The Velvet Underground hässlich und fett, teilt Regisseurin Susanna Nicchiarelli offensichtlich nicht. Sie konzentriert sich ganz auf die zweite Lebenshälfte. Wir sehen nicht die Dolce_Vita Nico, die Jim_Morrison oder wen auch immer verrückt machte, sondern einfach nur die letzten zwei Jahre dieses Junkies mittleren Alters. “I very rarely take showers"; sagt Nico und zerlegt weiter ihren Körper mit Heroin. Immer wieder wird Nico als rücksichtslos (sie, die ihren eigenen Sohn anfixte) und paranoid beschrieben und doch gelangen ihr auch in den 80ern noch Kunstwerke wie The Marble Index. Ist es nicht so, dass sie die Übermutter der Generation von Siouxsie Sioux oder Bauhaus ist? Ich habe eine ganze Sammlung von Playlists für unseren New Wave Mittwoch in der Filmkunstbar Fitzcarraldo zusammengesucht, Nico aber muss ich nun tatsächlich noch dazu fügen! Und zwar ihr Spätwerk! Danke dafür an Nico, 1988! Die Schauspielerin Trine Dyrholm sieht darin nicht nur exakt so aus wie Nico, sie schenkt uns auch die Erinnerung an diese späte Künstlerin. Womöglich die Erfinderin der "Null-Bock-Generation"!

Alejandro Jodorowsky - Endless Poetry

Endless Poetry, der zweite Teil der autobiographischen Fantasie des 88jährigen chilenischen Surrealisten Alejandro Jodorowsky, ist kein Werk eines alten Mannes geworden. Im Gegenteil, Endless Poetry wirkt wie die Passion eines jungen Mannes mit dem Egoismus eines solchen! Jeder Charakter darin darf als Reflexion oder Abstraktion der anarchischen Erinnerungen der Hauptfigur gelten. Sie alle schmücken diese Erinnerungen nur aus oder reichern sie an! Alles führt zurück zu Jodorowsky, diesem radikalen Anti-Kapitalisten, dem Anti-Kirchlichen, dem Anti-Staatlichen, dem Anti-Familienmenschen (obwohl er doch seine beiden Söhne einsetzt). Und so wirkt Endless Poetry dann doch wieder wie der Film eines alten Mannes, denn er erlaubt es, uns selbst zu betrachten - aber durch Jodorowskys Leben. Der junge Alejandro (Jeremias Herskovits, und später Alejandros Sohn Adan Jodorowsky) muss sich behaupten. Poet möchte er werden, sein hartherziger Vater aber hat andere Pläne. Alejandro soll Medizin studieren. Deshalb kommt es nach einer Feier zum Bruch. Mehr passiert nicht. Lose verknüpft trifft er eine Reihe skurriler Gestalten, die den werdenden Dichter inspirieren. Dann, in einer wahnwitzig überzeichneten Künstler-WG, lernt er, Puppen zu basteln. Währenddessen kauern in den Ecken, wie Dämonen, Bühnenhelfer, die Requisiten reichen, die wiederum im Film gebraucht werden. Alles klar? Wir dürfen uns auf eine Reise begeben, in der sogar Jodorowsky selbst als eine Art Scharlatan (oder Therapeut) auftritt mit erhobenem Finger wie damals in Montana_Sacra. Endless Poetry funktioniert wie ein Sequel zu seinem letzten Film, dem grossen Comeback The Dance Of Reality. Wobei: Endless Poetry ist der zugänglichere Film! Das kommt daher, da er einen bestimmten Punkt seines Lebens heraussucht, in dem es darum geht, aus eigenen Fehlern zu lernen. An manchen Stellen aber kehrt Endless Poetry auch wieder zurück zum Stil von The Dance Of Reality, fast wie in einer Jodorowsky Sitcom. Weiter im Text; denn Alejandro muss sich vom Vater Jaime (Brontis Jodorowsky - Sohn Nummer Zwei) emanzipieren. Jodorowsky damals, das war keiner, der sich passiv dem Mystizismus unterwirft. Er war ein aktiver Suchender nach allem, was das Leben GRANDIOS macht! Er entflieht seinem Zuhause, schliesst sich einem Künstler-Kollektiv an. Mit Sicherheit weiss er; er ist so wie sie! Für Jodorowsky war die Entscheidung, Poet zu werden, eine rebellische Handlung. Er lernt neue Freunde und Liebhaber kennen, Enrique Lihn (Leandro Taub), und Stella (Pamela Flores), die ihn inspirieren. Letztendlich aber wurde alles von Männern geschaffen. Von einem Mann. Ihm selbst. Endless Poetry ist ein Tribute Jodorowsky an sich selbst.