Donnerstag, 30. Juni 2016

Our Daily Free Stream: John Schlesinger - Billy Liar


Our Daily Free Stream: John Schlesinger - Billy Liar. Achtung, hier kommt einer dieser Aussteiger der New-Working-Class, bei dem sich alles nur im Kopf abspielt. Billy will seinem Leben entfliehen, Schriftsteller werden, nach London gehen - am liebsten mit einer wie Julie Christie. Doch kann er? Einer der Schlüsselfilme der British New Wave von John Schlesinger, mit Sicherheit beeinflusst durch James Thrubers New Yorker Roman. Billy Liar, die Adaption des Comics von Keith Waterhouse. Billy Fisher (Tom Courtenay) ist ein trauriger 19jähriger Junge, der in seinen Träumen immer wieder dem mittelmässigen Leben entflieht. Ein Lügner, der seine eigene bizarre Welt kreiert: Ambrosia. Alles findet statt an einem geschäftigen Samstag, mit den üblichen Problemen auf der Arbeit als er Liz (Julie Christie) trifft. Sie ist wirklich frei und will dahin, wo das Leben pulsiert: Nach London. Wir erleben hier einen Vorgeschmack auf spätere Werke von John Schlesinger, in denen er die Zeit des "Swinging Londons" beschwört. Doch was macht Billy im letzten Moment? Jeder liebt Billy Liar und bestimmt auch zu recht. Doch man sollte vorher gewarnt sein: Es ist ein sehr depressiver Film!

Mittwoch, 29. Juni 2016

British Cinema 90s


British Cinema 90s

Bis 1990 reichte die Thatcher Ära und sie einte die Linke im Kampf gegen den sozialen Raubbau. Die soziale Realität, der Blick auf das United Kingdom - das Kinothema! In den 90ern aber änderte sich das. Die Briten erinnerten sich daran, dass sie ja ausserdem das modernste, das lässigste, ja das poppigste Völkchen Europas sind! Die Verbitterung der Thatcher Ära wich. Sie eroberten die Charts mit Britpop-Bands und das Kino mit Trainspotting. Buy British! Real? Vielmehr überlebensgross und stilisiert! Eines aber blieb erhalten: Britische Filme beschäftigen sich vor allem mit dem Blick aufs eigene Land.
New British Cinema 80s


New British Cinema 80s

Die 80er beginnen in Grossbritannien mit Kürzungen. Es ist die Zeit der Thatcher Regierung. Trotzdem gabs einen Aufschwung in der Filmindustrie - womöglich ausgelöst durch den Hass auf die eiserne Lady, aber auch durch die Gründung des Fernsehsenders Channel 4. Die meisten dieser Filme wurden als Low-Budget oder indie Produktionen hergestellt. Gezeigt wurden diese Werke im Kino als auch im Fernsehen. Fokuspunkt: Die soziale Realität im Königreich, aber der Einfluss des europäischen kunstfilms ist spürbar. Die Lust am Experimentieren!
UK 70s


UK - 70s

In den 70ern formierte sich eine neue Bewegung des britischen Idependent Films aus Gruppen wie den London Film Makers' Co-op, Cinema Action, Amber, Liberation Films oder Sheffield Film Co-op. Die Avantgarde beeinflusste den Mainstream und so entstanden Kreuzungen aus beidem. Die Stunde schlug für Filmemacher wie Nicolas Roeg, Peter Greenaway oder Sally Potter. Wurde dabei der soziale Ansatz des Free Cinemas fortgesetzt? Damit sind wir mitten drin im Streit der Filmforschung. Sicher ist aber, dass sich das Thema Jugend Platz verschaffte, ob in That'll Be The Day (Claude Whatham), The Likely Lads (Michael Tuchner) oder Quadrophenia (Franc Roddam).
UK Swinging 60s


UK - Swinging 60s

Was kam nach der British New Wave? Swinging London färbte ab auf die Filmindustrie. Nicht mehr das Soziale stand im Vordergrund - sondern das Poppige! Co-Produktionen, nicht nur mit den USA sorgten für einen Aufschwung. Uns interessieren hier aber nicht die grossen Erfolge von David Lean, Stanley Kubrick oder Sidney Lumet. Uns interessieren die Produktionen, die tatsächlich mit Grossbritannien verbunden waren! Die Filme von Richard Lester, der frühe Ken Loach, Lindsay Anderson, Tony Richardson oder Karel Reisz nach ihren British New Wave Anfängen, John Schlesinger oder solche Filme wie Blow Up von Antonioni. Themen: Jugend! Popkultur! London!

Dienstag, 28. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Bud Spencer & Terence Hill - Trinity Rides Again (german dubbed)


Our Daily Free Stream: Bud Spencer & Terence Hill - Trinity Rides Again (german dubbed). Zum Tod von Bud Spencer! Alles Gute, Bud! Wir werden deine Faust vermissen! - Terence Hill hat die blauesten Augen des Wilden Westens. Er hat auch das hagerste Gesicht. Und er hat die dünnsten Lippen. Ausserdem trägt er das dreckigste T-Shirt und bedient die schnellste Pistole. Der Inbegriff des Spaghetti Westerns, mehr noch: Mit einer Extra-Portion Käse und Maccaroni. Hills echter Name ist nicht Terence Hill, sondern Mario Girotti. Womit wir bei seinem Partner wären, der Ende der 60er nur klein auf den Plakaten erwähnt wurde: Bud Spencer. Sein echter Name lautet: Carlo Pedersoli. Angeblich unterbrach er gern mal den Dreh, um eine Platte Spaghetti, ein Kotelett, einen Salat, eine Schüssel Suppe, eine Extra Portion Spaghetti sowie ein oder zwei Liter Wein zu verdrücken. Es war seine Idee, den Italo Western zu parodieren (und es war bei weitem nicht die einzige Idee des Erfinders der Einweg-Zahnbürste, Olympioniken und Anwalts). Die Trinity Reihe bricht mit der Ernsthaftigkeit des Italo Westerns und führt ihn ad absurdum. Hill und Spencer sind Outlaws mit fliegenden Fäusten und üblen Essgewohnheiten. Sie hauen die Bösewichter mit ihren Fäusten zusammen. Spencer schlägt am liebsten von oben auf die Schädeldecke. Die Kampfszenen sind derartig stilisiert, dass sie wie eine Kreuzung aus klassischen Stummfilmen und Hollywood Big Budget Produktionen wirken. In Italien und vor allem in Deutschland hat man seit den 60ern herzlich gelacht über diese Kloppereien. Im Rest der Welt wohl nicht ganz so sehr. Das macht nichts, denn für uns ist Bud Kindheitserinnerung und zwar eine, die wir nie ablegen wollen. Auf dem Schulhof haben wir versucht, den Klassenkameraden genauso auf den Kopf zu schlagen. Am Mittagstisch mutierten wir auf einmal zu Bud. Deshalb: Alles Gute, Bud! Wir werden deine Faust vermissen!
Our Daily Free Stream: Götz George - Zabou (german only)


Our Daily Free Stream: Götz George - Zabou (german only). Zum Tod von Götz George! Alles Gute, Bud! Wir werden deine Faust vermissen! 1987 hatte Götz George alias Horst Schimanski den Gipfel seiner TV Karriere erreicht: Er war mit seinem Partner Thanner (Eberhard Feik) zum zweiten Mal auf der grossen Leinwand gelandet. Dabei kam George aus dem Kino (nur eben nicht in der 70er Phase des Neuen Deutschen Films, in dem kein Platz für seinen Typ blieb) und fand seinen Weg auch dorthin zurück - nicht als Schimanski, sondern Charaktermime. "Ich bin dein Vater", sagt Horst Schimanski zur blonden Zabou, als sie ihm gerade das Brusthaar krault. "Du bist es nicht", entgegnet sie. Er könnte es aber sein! Der Ruhrpott Bulle als einsamer Rächer - ausser Schimanski gabs in Deutschland niemanden, der diese Rolle verkörpern konnte. Er sucht im Revier nach einem Drogenbaron - um ihn herum ehrlicher Beton und knackige Brüste. Schimanski ist genauso brutal wie sentimental und das zeichnet einen echten 80s Helden aus. Denn auch die Hollywood Vorbilder haben oft geheult, nachdem sie mit der MP Legionen weggeknattert hatten. Und ist Zabou (Claudia Messner) aus dem Go-Go Club nun seine Tochter? In jedem Fall ist sie sein Trauma, da er Mutter und Tochter (aber welche?) einst schnöde verliess. Während ihn die Vergangenheit einholt, drängt sich ein anderer Verdacht auf: Ist Zabou etwa der grosse Unbekannte, nach dem er sucht? George beschrieb damals seine Rolle als menschlichen Konflikt, den es für Schimanski nie zuvor gab. Für andere, echte Menschen freilich auch nicht und das macht diese Rolle aus: Schimanski war überlebensgross. Eine Comic-Figur im Parka. Er wird uns fehlen!
British New Wave


British New Wave

Mitte der 50er bildete sich in Grossbritannien ein unabhängiges Kino heran, das Free Cinema. Regisseure wie Lindsay Anderson, Karel Reisz oder Tony Richardson produzierten dokumentarische Kurzfilme mit dem Blick auf das wahre Leben. Diese nüchterne Wahrnehmung der sozialen Realität setzte sich fort in der "British New Wave". Eine typische Karriere legte John Schlesinger hin. Er begann als Dokumentarfilmer, schuf einige der Klassiker der British New Wave wie Billy Liar und wurde später weltberühmt durch Filme wie Midnight Cowboy. Die British New Wave darf als Phase zwei des unabhängigen britischen Kinos nach der Free Cinema Bewegung gelten. Im Grunde ists eine wörtliche Übersetzung der Nouvelle Vague und obwohl die britische Variante im Kino nur kurzlebig war, setzte sie doch ein Zeichen. Der politische und gesellschaftliche Aufbruch der "Swinging London" Ära war auf der Leinwand angelangt! Zum ersten Mal wurden marginalisierte Themen und Typen ins Zentrum gestellt: Die Menschen der Arbeiterklasse. Anders als zuvor erschienen sie als ernsthafte, facettenreiche Charaktere im Kino. Auch stilistisch betrat man Neuland, experimentierte, polarisierte. Jedoch: Die Filme der British New Wave liessen sich nur schlecht finanzieren und so verebte alles wieder. Stars wie Julie Christie oder Albert Finney sollte zwar weiterhin eine grosse Rolle spielen, das britische Kino wurde aber zunehmend mit amerikanischem Geld bezahlt...
Free Cinema UK


Free Cinema UK

"No film can be too personal. The image speaks. Sound amplifies and comments. Size is irrelevant. Perfection is not an aim. An attitude means a style. A style means an attitude." Lindsay Andersons Manifest des Free Cinema beschreibt ziemlich treffend das, was sich Ende der 50er in Grossbritannien formierte. Lindsay Anderson, Gavin Lambert und Karel Reisz setzten sich für ein sozial engagiertes Kino ein, für den ungeschönten Blick aufs Leben. In Grossbritannien begann diese Pionierarbeit eines unabhängigen Kinos schon früh, man richtete sich gegen den Mainstream, gegen die Klassenverhältnisse. Gedreht wurde möglichst an Original Schauplätzen, die Kamera musste mit auf die Strasse. Chronologisches Erzählen galt es zu vermeiden und das Ziel hiess: Ein Film kostet nicht viel! Free Cinema, das ist im Grunde der dokumentarische Blick auf die Wirklichkeit. Ein Grundzug, der im britischen Kino bis heute nachhallt. Aus den Anfängen des Free Cinema sollte die British New Wave entstehen - dazu mehr in der folgenden Film List.

Montag, 27. Juni 2016

Our Daily Free Stream - Quentin Tarantino - Reservoir Dogs


Our Daily Free Stream: quentin Tarantino - Reservoir Dogs. Tarantino beginnt mit dem Dreh an Kill Bill 3! Deshalb gibts heut seinen Erstling. - Quentin Tarantino war einer der talentiertesten Autoren der frühen 90er. Reservoir Dogs schliesslich seine erste eigene Regie-Arbeit, die wie eine Stilübung daherkommt. Wer Reservoir Dogs sieht, möchte meinen: Nicht schlecht und als nächstes mal einen richtig guten Film! Reservoir Dogs bietet einen Besetzungs-Coup! Angeführt von Lawrence Tierney, der nicht nur im Film gerade aus dem Knast kommt. Vermutlich klingt er deshalb so authentisch! Tierney gibt Joe Cabot, einen Gangster, der ein Team für einen Raubüberfall zusammengestellt hat. Der Schlüssel zum Erfolg: Niemand kennt den Anderen und deshalb nennen sie sich Mr. White, Mr. Blonde oder Mr. Orange. Pink ist unzufrieden mit seinem Namen. "You're lucky you ain't Mr. Yellow"; wird er zurechtgestutzt. Die Eröffnungsszene findet statt in einem Coffee Shop, in dem alle Beteiligten an einem langen Tisch sitzen. Sie stecken ihre Zigaretten an und trinken Kaffee, während die Kamera ganz langsam um die Gruppe fährt. Nach einer ausgiebigen und albernen Diskussion (die das Herzstück von Reservoir Dogs ist und zum ersten Mal Gangster zeigt, die aber wie Jungs um die Ecke daherquatschen), verlassen sie den Raum. Jeder darf direkt in die Kamera blicken beim Hinausgehen und alle haben starke Gesichter: Tim Roth, Michael Madsen, Steve Buscemi, Chris Penn und Harvey Keitel, dessen Präsenz wie die Genehmigung wirkt, überhaupt einen Gangsterfilm zu produzieren. Tarantino vertraut ganz auf ihre Gesichter, an keiner der Figuren zeigt er einen tiefer liegendes Interesse. Er baut ganz auf seinen Plot und den treibt er voran. Seine Grundidee: All diese Typen - ausser Tierney und dem durchgeknallten Madsen - bluffen. In Extremsituationen können sie nicht bestehen. In Rückblenden erleben wir den verpfuschten Überfall. Tarantino beweist ein gutes Händchen, wie er seine Action Sequenzen inszeniert: Wie die Männer die Strasse herunter rennen, Schusswechsel, Blut und Schreie. Schliesslich mündet das Geschehen in einem Warenhaus. Der derangierte Madsen verdächtigt einen von ihnen, ein Cop zu sein. Wir dürfen nun Zeuge einer fast poetischen Rachehandlung werden... Als ich Reservoir Dogs zum ersten Mal sah, war vor allem Michael Madsen die Überraschung des Films. Ein Schauspieler, dessen Gesicht man aus billigen Filmen kannte und der hier aufspielte wie einer der Grössten! Tarantino selbst empfielt sich als Schauspieler durchgedrehter Bösewichter. Ich mochte Reservoir Dogs und mag ihn immer noch. Damals wollte ich aber mehr! Man las, wie er selbst diese Low Budget Produktion vorantrieb und wie unzufrieden er mit der bisherigen Verfilmung seiner Drehbücher war. Für das, was ein guter Gangsterfilm braucht, ist viel Geld nun aber gar nicht von Nöten. Ich hätte mir gewünscht, die einzelnen Typen etwas besser, ja tiefer kennenzulernen. Tarantino lässt sie zwar sehr viel reden, aber im Grunde wenig offenbaren. Erst sein nächster Film sollte genau das Kunststück vollbringen!
Götz George ist tot


Gestern verstarb Götz George, der einzige deutsche Action-Star und Charakter-Mime. Thomas Groh postete darauf hin eine Szene aus Die Katze (1988). - Unsere Cinegeek Review dazu: Ein deutscher Bankraub-Thriller, der Anschluss an internationale Standarts sucht und findet. Ein deutscher Genre Film, der ganz allein steht in weiter Flur. Die Katze fand keine Nahahmer, nur einer hätte ihn realisieren können und tat das auch: Dominik Graf. Graf weiss, dass zu einem Genre Klassiker Stars gehören. Götz George und Gudrun Landgrebe sehen aus wie welche und sie sind es auch! Dahinter: Typen, so wie sie in jedem guten Genre Film auftauchen: Ralf Richter und Heinz Hoenig. Die Katze war erfolgreich an der Kinokasse und erhielt sogar einen "Bundesfilmpreis". Graf aber, bekam im Grunde keine zweite Chance, solch ein Projekt zu stemmen. Gegen das Seichte und Heitere, die Übermacht der deutschen "Komödie", setzt er Härte, Klarheit und Kraft. Seine Stars besetzt er gegen den Strich. Aus Götz Georges Parka tragendem Duisburger Anti-Kommissar wird ein gefährlicher Gangster mit getönter Brille und teurem Anzug. Aus Gudrun Landgrebes Luxus-Callgirl eine durchtriebene Femme Fatale, eine "Katze", die immer wieder auf die Füsse fällt. George ist Probek, der ein grosses Ding plant (so wird in dem Film noch gesprochen). Er hat ein Verhältnis mit Jutta (Landgrebe) der Filialleiterin der Bank. Anfangs erleben wir beide im Bett; nackte Körper, aggressiver, gieriger Sex. Wir lernen beide Charaktere auf diese Weise kennen. Probek bezieht ein Hotelzimmer gegenüber der Bank. Wie es das Genre will, wird er von dort aus die Lage ausspähen (mit teurem Gerät!) und sogar den Raubüberfall dirigieren. Seine Partner (Richter und Hoenig) betreten morgens die Bank, angeleitet durch Probek. Doch Probek spielt nicht nach ihren Regeln und alamiert die Polizei... Ein amoralischer Film, der nicht von Gut und Böse, sondern Stark und Schwach dominiert wird. Wir kennen das aus New Hollywood Vorbildern der 70er. Dominik Graf erfüllt die Konventionen und geht doch ein Stück weiter. Ist Probek mit seiner Überwachungstechnik nicht das Abbild des modernen Überwachungsstaates? Die Kritik sah das 1988 anders und verfuhr wenig gnädig mit Grafs Grossproduktion. Bis heute steht der Film ganz allein da, vertritt ein Genre, das in Deutschland zum TV gehört. Es war Graf selbst, der sechs Jahre später einen weiteren Polizeifilm versuchte. Künstlerisch erfolgreich, vom Kassenergebnis her desaströs. Es gab keine weiteren Wiederbelebungsversuche eines deutschen Thrillers. Grafs Traum, in Deutschland könnte sich etwas ähnlich Eigenständiges wie früher in Italien etablieren, blieb bis heute unerfüllt. Graf selbst aber bastelt weiter daran, wie seine grossartige Mini Serie, die er in Berlin produzierte beweist. Die Katze, heute wiedergesehen, wirkt erstaunlich frisch. Im Abstand hat er vor allem eines ganz klar erreicht: Den Anschluss an die internationalen Vorbilder.

Sonntag, 26. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Dennis Hopper - The Last Movie


Our Daily Free Stream: Dennis Hopper - The Last Movie. Ich habe heute in unserer Mahnkundenliste der Filmkunstbar Fitzcarraldo nachgesehen. Henry Hopper, seines Zeichens Sohn, hat noch DVD von uns und muss sie zurückgeben! Deshalb gibts heute The Last Movie. - Wirklich beeindruckend! Dennis Hopper, über Nacht zum Star und hoffnungsvollen Regisseur mutiert, ja zum Neuerer! - liefert hier ein Stück filmische Müllkippe ab. The Last Movie ist genauso undiszipliniert, wie zusammenhangslos und strukturlos. Ein wirres Durcheinander. Wie mag wohl seine Intention gewesen sein? Wir erleben ihn in einer ungemein pathetischen Szene, wie er sich wohl selbst sieht: Stoned, total verwirrt. Zu Hölle mit allem! Dennis Hopper als Regisseur dürfte in seltenem Einklang mit seiner Figur stehen. Es gibt solche Fälle, da man einen Film anschliessend im Schneideraum retten kann und ihm ein neues Gesicht verpasst. Einen Sinn. Nachdem Hopper mit unendlich viel Filmmaterial aus Peru zurückkehrte, versucht man, aus seinem Gerümpel so etwas wie ein "psychodelisches" "New Hollywood" Werk zu schnippeln. Vergeblich. Falls es so etwas wie eine lineare Handlung gibt, möge sie so beschaffen sein: Ein Cowboy hat gerade ein kommerzielles Western B-Movie vollendet. Er trifft ein Mädchen, ist stark verwirrt und dreht am Set einen zweiten Film, gemeinsam mit den Indianern, die in der Gegen leben. Oder so ähnlich. Ach ja, nach Gold sucht er auch noch. Alles dargeboten in modischen Bildern von László Kovács, mit einem fragmentrischen Ende, Gastauftritten von Peter Fonda und Kris Kristofferson und der Musik von Kristofferson. All die teuren Songs und die Gastauftritte von Freunden wirken wie der Versuch, Hopper beim Untergang zu retten. Vielleicht verbrachten sie aber auch einfach nur eine schöne Zeit miteinander, hielten Schilder vor die Kamera wie "Scene missing" oder "The End". The Last Movie mag ein ausgeweiteter Privatwitz sein, in dem das Publikum gerade mal geduldelt wird. Die Branche hat sich über Hoppers Schabernack so sehr aufgeregt, dass er jahrelang arbeitslos war. Nur über dubiose Zufälle durfte Hopper in den 70ern überhaupt nochmal Regie führen. 15 Jahre lang sollte sich Dennis Hopper jedenfalls von diesem Spässchen beruflich nicht erholen. Das zollt unseren Respekt!
The Real New Hollywood


The Real New Hollywood

Wenn ich bei Empfehlungsseiten wie Moviepilot "New Hollywood" eingebe, stosse ich auf Film Listen, die unter anderem den weissen Hai beinhalten. New Hollywood, nur ein Label für Filme der späten 60er und 70er? Warum nicht gleich Star Wars drauflegen? Tatsächlich etablierte sich der Begriff erst 1975 - natürlich an der Film Uni und durch die Kritiker. Ich versuche gerade, mir vorzustellen, ich sei ein Amerikaner und wir schreiben das Jahr 1966. Aus Europa kommen spannende Sachen von Godard oder Antonioni. Aus der UDSSR schwappt Tarkowski herüber und aus Japan nie gesehene Filme wie die von Kurosawa. Und aus Hollywood? The Sound Of Music. Wenn ich als Kinogänger sehr aufmerksam bin, könnte ich bemerken, dass Mike Nichols (Who's Afraid of Virginia Woolf?) oder Arthur Penn (The Chase) etwas Neues abliefern. Nun muss ich mir aber bewusst machen, dass gerade in den 60ern Film zu einer Art Religion wurde. Die Europäer meinten ernsthaft, im Kino das System stürzen zu können und diskutierten ganz ernsthaft darüber. Welcher Hollywood Film seiner Zeit könnte diese Begeisterung stillen? Womöglich habe ich vom New Yorker Off Kino um John Cassavetes etwas mitbekommen oder verehre Sidney Lumet? Mit Sicherheit aber würde ich bereits ein Jahr später Mike Nichols The Graduate und Arthur Penns Bonnie And Clyde lieben! Mit Bestimmtheit wüsste ich: So etwas habe ich noch nie gesehen! Durch jahrzehntelange Zensur hatte das alte Hollywood, das Studiosystem, sich auf bestimmte Stereotypen und Formeln festgelegt. Es war im eigenen Erfolgsrezept stecken geblieben. New Hollywood darf also vor allem als neue Generation von Filmemachern betrachtet werden, welche diese Formeln missachten. Filme, die ein anderes Amerika zeigen. Filme, die draussen spielen in der Welt. Mit echten Menschen, keinen "Helden". Liebesgeschichten mit Happy Ending? Der klassische Held, der einfach seine Pflicht erfüllt? Das war vorher. So wie die Europäer machte man nun Filme im Hier und Jetzt. Im Western sterben die Legenden, stattdessen hinterfragt man, ob die Siedler tatsächlich nur Gutes über Amerika brachten? Die Schrecken des Vietnam Krieges führen zu Horror Filmen, die wirklich verstören. Im Science Fiction Film wird utopisch philosophiert. Überall lässt sich die Freude am Stilbruch erkennen und das hat New Hollywood mit der Popkultur der 60er gemein. Am reinsten wurde der neue Typus des Anti-Helden im Road Movie verkörpert. Hier spielt die Filmmusik eine tragende Rolle, die Kreuzung aus Kino und der neuen Rockmusik a la Hendrix und The Byrds. Alles findet im Road Movie seinen Platz: Unkonventionelle Themen und reale Schauplätze und gern darf das Road Movie auch experimentell aussehen. Irgendwann aber zu Beginn der 70er, ist der Spass auch schon wieder vorbei. Die Geschichte, dass ein unbekannter Regisseur namens Coppola ein Vermögen zur Verfügung gestellt bekommt, um ein Mafia Epos zu inszenieren, ist an sich zwar originell - das Ergebnis aber kaum "New Hollywood". Genauso wenig wie Kassenknüller der Marke The Exorcist. Hier wird schon nicht mehr herumgespielt, sondern feste Erzählbausteine zu einem "runden" Film zusammengefügt. Später verlegte man klassische Abenteuerstoffe einach ins Weltall mit bunten Laser Schwertern und das alte Hollywood war zurück...

Samstag, 25. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Gus Van Sant - My Own Private Idaho


Our Daily Free Stream: Gus Van Sant - My Own Private Idaho. Auch die Indie Ikone Van Sat filmt gerade an einer Miniserie: When We Rise. Deshalb gibts heute My Own Private Idaho. - Ein Mensch, der an Narkolepsie leidet, ist auf die Hilfe seiner Umgebung angewiesen. Bleibt er schlafend irgendwo auf der Strasse liegen, muss ihn jemand forttragen. River Phoenix spielt Mike Waters den Narkoleptiker in Gus van Sants Drama. Es ist schwer für ihn, sich wirklich auf etwas einzulassen, denn jederzeit kann der Schlaf ihn übermannen. Überflüssig zu bemerken, dass die Krankheit auch für Mikes Arbeit als Stricher nicht förderlich ist. Mike lebt in einer unwirklichen Welt, seiner eigenen. Wir müssen uns das so vorstellen, als ob er auf Droge ist. Er existiert ausserhalb der Zeitrechnung, die für uns gilt - innerhalb seiner eigenen Konditionen. Phoenix verkörpert ihn als Dummkopf, als clowneske Figur. Seine einzige Aufmerksamkeit gilt Scott Favor (Keanu Reeves), einem anderen Stricher. Der Eine kommt aus einer reichen Familie, der Andere aus armen Verhältnissen. Die Herkunft beider aber ist unerheblich für die Zeit, die sie nun miteinander verbringen: Sich treiben lassend durch fremde Wagen und Hotelzimmer, sich in Fantasie-Rollen begebend, sich stundenlang in Coffee Shops unterhaltend... Sie sind so etwas wie Sex-Outlaws des Lebens an der Peripherie. Suchen wir literarische Vorbilder (und das drängt sich bei Gus van Sants Film geradezu auf), dann finden wir sie bei den Klassikern, nicht etwa in der psychodelischen Pop-Literatur. Ist die Essenz des Films sogar eine allzu menschliche Komödie? Handelt sie von Einsamkeit und tiefer Trauer, jedoch mit dem Wissen, wie lächerlich jedes menschliche Gefühl letztlich ist? Ist nicht das, was wir als toternst wahrnehmen, im Grunde absurd? Wie viele Filme des Regisseurs spielt My Own Private Idaho im Nordwesten, in Portland. Dort sind es die Aussenseiter, welche auf der Strasse existieren, denen Van Sant seine Aufmerksamkeit schenkt. Grosse Pläne existieren nicht für sie, nur ein Bett über Nacht und etwas Kleingeld, um zu überleben. Mike und Scott treffen auf die unterschiedlichsten Kunden - so den Mann, der seine Wohnung neurotisch sauber hält. Einmal scheint es fast so, als ob sie nicht mehr in Idaho sind, sondern in Italien... Obwohl die beiden Hauptfiguren Stricher sind, geht es in My Own Private Idaho weniger um Sex. Ich denke, Sex interessiert die beiden Prostituierten gar nicht, sondern ist eben Arbeit. Mike sucht nach Liebe, doch wenn er ehrlich ist, braucht er jemanden, der ihm Schutz bietet, der ihn hält. Grosse mentale Schäden erlitt er während seiner Kindheit, nun sucht er nach einer Obhut - ganz gleich, ob bei einem Mann oder einer Frau. Einen klassischen Hollywood Plot bekommen wir dabei nicht geboten. Der Film treibt - genauso wie das Leben der Beiden auf keinen festen Punkt zu.

Freitag, 24. Juni 2016

Berliner Videotheken und das Internet

 Stolz führt Graf Haufen durch das Sortiment seines DVD-Verleihs. „Wir sind spezialisiert auf alles“, sagt der 50-Jährige lachend. Mit bürgerlichem Namen heißt er Karsten Rodemann, wird von allen aber nur bei seinem Künstlernamen genannt. Seit 1985 betreibt er das Videodrom im Kreuzberger Bergmannkiez. Während im ersten Raum seines Ladens Neuerscheinungen und Kinderfilme präsentiert werden, warten im hinteren Bereich vor allem Dramen. Manche Regale beherbergen nur französisches oder italienisches Kino. In einem weiteren stehen Ordner mit dem gesamten chronologischen Schaffen deutscher Regisseure, ehe ein wandfüllendes Regal mit allen Werken englischsprachiger Regisseure wie Stanley Kubrik oder Woody Allen den Abschluss bilden. „Wir können eine Komplettheit anbieten, die sonst nicht möglich ist“, sagt Haufen. Seine Programmvideothek besteht damit immer noch auf einem Markt, der zunehmend härter wird. Während vor einigen Jahren vor allem illegal verbreitete Filme im Internet Videothekaren zu schaffen machten, rauben ihnen heute Netflix und Amazon Prime die Kundschaft. In Berlin schloss deshalb erst im vergangenen Jahr die Videothek Negativeland in der Danziger Straße. Sie war der erste Filmverleih, der nach der Wende seine Türen in Ost-Berlin öffnete und ein breites Sortiment jenseits des Mainstreamkinos anbot. Das seit 1984 bestehende Videodrom des Grafen Haufen beherbergt heute rund 32.000 Filme. „Berlins älteste und bestsortierte Programmvideothek“, heißt es auf dem Fahrradständer vor dem Eingang. Doch auch hier machen sich die Folgen des medialen Wandels bemerkbar. „Im Vergleich zu früher haben wir wesentlich weniger Kunden und Verleihvorgänge“, beschreibt Haufen die derzeitige Situation. Geschrumpft sei dadurch auch der finanzielle Spielraum. Noch aber trage sich das Geschäft, betont der Betreiber. Und in manchen Punkten seien sie den Streamingdiensten immer noch voraus, etwa in der Beratung: „Wir leisten eine kuratierende Arbeit, um unsere Kunden durch den Dschungel der Veröffentlichungen zu führen. Das gibt es in der virtuellen Welt nicht.“ Auch glaubt Haufen nicht, dass Netflix und Co. jemals ein so breites und spezialisiertes Angebot haben werden wie gut sortierte Programmvideotheken. „Wenn ein Film im Jahr nur dreimal gestreamt wird, macht es für die keinen Sinn, die Lizenzen zu kaufen. Wenn ich mal einen obskuren Film sehen möchte, werde ich da nicht fündig.“ Beratung und gute Auswahl reichen jedoch längst nicht mehr bei allen Programmvideotheken aus, um den Betrieb finanzieren zu können. Zunehmend entstehen so Mischkonzepte. Zur DVD ein Softeis So etwa in Anne Petersdorffs Videothek „Madeleine und der Seemann“. Seit 2009 betreibt sie das Geschäft im Lichtenberger Kaskelkiez. Alleine vom DVD-Verleih habe sich das Geschäft nie getragen. Stattdessen setzte die 38-Jährige von Beginn an auf eine Mischung verschiedener Konzepte. Im Sommer etwa verkauft der Laden Softeis aus einer alten DDR-Maschine. „Die rettet uns über die Sommermonate hinweg“, sagt sie. Daneben vertreibt sie Wein von einem Händler im Kiez, bietet Second-Hand-Kleidung an und betreibt im Laden einen Paketshop. Darüber hinaus zeigt sie zweimal pro Woche im kleinen Clubkino im Keller für Kunden Filme. Dennoch: „Dieses Gesamtkonzept zusammen trägt den Laden gerade so. Wenn ich nicht die Leidenschaft dafür und die tollen Kunden hätte, wäre der Punkt zum Aufhören längst erreicht.“ Trotzdem glaubt sie an Programmvideotheken. „Sie können überleben – aber nicht alleine. Es müssen Concept-Stores her, wo auch noch andere Dinge angeboten werden.“ Ein weiteres solches Mischkonzept ist die Filmkunstbar Fitzcarraldo in der Reichenberger Straße in Kreuzberg. 2006 als reine Videothek gestartet, besteht das Geschäft seit fünf Jahren und dem Umzug in die Reichenberger Straße in Kreuzberg aus einer Bar im Erdgeschoss und dem DVD-Verleih im Keller. „Im Zuge des Umzugs haben wir gleich gesagt, Videothek alleine ist ein bisschen schwach, da nehmen wir noch Bar und Feierei mit dazu“, sagt Martin Schuffenhauer. Während die Bar besonders am Wochenende oft brechend voll ist, hat das Verleihgeschäft auch hier stark abgenommen. Entsprechend habe sich auch das Verhältnis der Einnahmequellen verschoben. „Früher haben wir uns durch den DVD-Verleih finanziert, heute durch den Alkoholverkauf“, sagt der 43-Jährige. Mittlerweile machten die Einnahmen aus dem Barbetrieb circa 80 Prozent des Umsatzes aus. „Im Grunde genommen ist es eine Bar“, stellt Schuffenhauer nüchtern fest. Früher waren Filme für ihn ein reines Hobby. Jetzt sind sie es quasi wieder. Aber aufgeben will er den Verleih auf keinen Fall: „Ich brauch das einfach.“ (Quelle: Berliner Zeitung http://www.berliner-zeitung.de/berlin/videotheken-amazon-prime--netflix-und-co--machen-berliner-geschaeften-zu-schaffen-24278054 vom 23.6.16) Und wie gehts weiter mit dem Internet? Dazu das Deutschlandradio: Die Filmothek "Filmgalerie Berlin" wirbt auf ihrer Homepage mit einer ganz besonderen Liste: selten ausgeliehene Titel. In Zeiten des Streamings ist dies eine Metapher für das Schicksal der Videotheken - sie könnten bald verschwunden sein. "Rote Lola, einer der ersten Filme, die eine gelogene Rückblende hatten. – Ja, genau. – Das war damals ein Schock. – Hitchcock hat gelogen." Ein Kundengespräch in der Videothek Filmgalerie in Berlin. Dieser Gedankenaustausch ist für Inhaber Silvio Neubauer wichtig, seit 1987 verleiht der ehemalige Architekt Filme. Die Kunden schätzen die Atmosphäre in der Programm-Videothek. Hier treffen sich Filminteressierte und Fachpublikum, wie Regisseurin Verena Freytag, die oft und gerne hierherkommt: "Weil die meisten Filme, die ich gucken will, online nicht erhältlich sind, und weil ich auch gerne spazieren gehe abends, und weil es hier auch immer nett ist, sich zu unterhalten und sich Tipps zu geben." Eine Besonderheit der Filmgalerie ist die Liste der selten ausgeliehenen Filme: Auf Platz 1 steht "Oliver’s Story" von 1978, die Fortsetzung des Schmachtfetzens "Love Story", einem der größten Kinoerfolge aller Zeiten. "Oliver‘s Story" dagegen floppte im Kino, trotzdem ist die Liste keine Ansammlung gescheiterter Filme, im Gegenteil. Darunter sind Kunstwerke wie "Borderline" von 1930 – ein atemberaubend modernes Dreiecksdrama zwischen Weißen und Schwarzen. In gewisser Weise ist es eine Ehrenliste vergessener Filme. Obwohl die Filmgalerie vor einigen Jahren an einen kleineren Standort umziehen musste, wird kein Film aussortiert: "Wir bezeichnen uns ja selbst als Archiv. Da wurden auch Sachen gesammelt, wo man sagt: 'Die sind ja ganz schlecht.' Da sag ich: 'Na und? Wenn jemand meint, er müsste aus irgendwelchen Gründen auch immer aus den Siebzigerjahren Lederhosenfilme anschauen.' Oder wie eine Autorin, die sich mit den Siebzigerjahren befasst hat. Die hat sich dann alle möglichen der wüstesten Produktionen aus Deutschland bei uns ausgeliehen, weil sie sich ein Bild davon machen wollte, von dem, was damals Menschen zu Millionen gesehen haben. Das ist ein Teil der Gesellschaft und der Kultur." Das Schattendasein der Filmhistorie Auf der Liste der selten ausgeliehenen Filme findet man filmhistorische Werke, die sonst nicht mehr zu haben sind, und Überraschungen, wie die amerikanische Komödie "The Wild Life" von 1984. Hier treffen erstaunliche Freizügigkeit, jugendliche Verweigerungshaltung und soziale Problematiken in einer Weise aufeinander, wie es heute im Hollywood-High-School-Film undenkbar wäre. Wie den vergessenen Filmen könnte es bald den Videotheken ergehen – dass sich niemand mehr für sie interessiert. 1980 begann der Boom des Videoverleihs, vor knapp 10 Jahren setzte mit den Online-Stream-Angeboten ein dramatischer Niedergang ein. Von bundesweit über 4000 Videotheken im Jahr 2007 sind heute noch etwas über 1000 übrig. Wobei man in der Branche das illegale Streamen als Problem sieht, nicht die legalen Anbieter: "In einigen Bereichen sind sie sehr stark, eben in diesen Eigenproduktionen und Serien. Aber das Gesamtprogramm ist erstaunlich gering. Wir haben hier 25000 Titel, wenn man die Titel aller Streams zusammennimmt, dann sind das 5, 6, 7 Tausend vielleicht, also ein Bruchteil." So sieht das auch Martin Schuffenhauer von der Filmkunstbar Fitzcarraldo in Berlin-Kreuzberg: "Wenn man mal die üblichen Verdächtigen im Internet, also die legalen Anbieter wie Amazon Prime oder Netflix durchprobiert, dann merkt man zu allererst, dass die nur Scheiße zum Verleihen haben. Und die Videotheken sind nach wie vor die einzigen, die überhaupt eine gute Auswahl bereitstellen, und was wir außerdem noch können, ist Beratung. Ich bin ja kein Algorithmus, mich gibt es in echt." Die Alternative zum Bestellalgorithmus Schuffenhauer glaubt, dass spezialisierte Videotheken überleben werden. Das Fitzcarraldo zum Beispiel ist kombinierte Bar-Videothek, und das Internet sieht er als Ergänzung. Auf der Videothek-Website gibt es redaktionell erarbeitete Filminfos und Links: "Damit man sich auch noch mal eine eigene Meinung bilden kann, verlinke ich halt mit Youtube, entweder zum Trailer oder zum ganzen Film, dann kann man auch reingucken. Wer es in der richtigen Qualität sehen will, der kann ihn ja auf DVD leihen, aber niemand hat so viel Geld, um sich alles anzuschauen. Und von daher finde ich das sinnvoll." Dennoch ist das Geschäftsmodell der Programm-Videotheken gefährdet, letztes Jahr schloss in Berlin das Negativeland. Noch sind einige anspruchsvolle Läden übrig, neben den genannten auch das legendäre Videodrom. Aber wie lange wird es diese Orte noch geben? "In 20 Jahren zum Beispiel kann ich mir schwer vorstellen, dass es in der Form noch existiert. Das dann in einem musealen oder anderen Kontext, das würde ich sehr hoffen." Ironischerweise könnte also ausgerechnet die Liste der selten ausgeliehenen Filme dafür sorgen, dass die Videotheken ihre Funktion als Filmarchiv behalten – weil sie nicht ins Relevanzschema von Online-Anbietern passen und über Filme verfügen, die in den Weiten des Internets nicht aufzutreiben sind. (Quelle: http://www.deutschlandradiokultur.de/abseits-des-streamings-warum-wir-filmotheken-weiterhin.2156.de.html?dram%3Aarticle_id=357838 vom 24.6.16)

90s - Indie Filme

 Das Jahrzehnt, in dem Indie seinen kommerziellen Durchbruch feierte! Kurzer geschichtlicher Aufriss: Michael Ciminos Endzeit Western Heaven's Gate liess eine merkwürdige Ära zu Ende gehen. New Hollywood - Amerika versuchte, "europäisch" zu filmen. Das finanzielle Desaster von Ciminos Meisterwerk brachte das, was immer auf eine Bewegung folgt: Eine Gegenbewegung. Hollywood besann sich auf seine Wurzeln. Die des "Event" Kinos! Daneben blühte der unabhängige Film auf, das es seit der New Yorker Off Szene der frühen 60er gab. John Cassavetes darf sich als Grossvater einer Generation fühlen, die Geld nicht von den grossen Studios bekam. Jim Jarmusch, die Coen Brothers oder Spike Lee etablierten in den 80ern das Indie Kino. Auf dem Sundance Filmfestival konnte man diese kleinen, aber feinen Filme einem grossen Publikum zugänglich machen. Sundance war einer der Faktoren, weshalb "Indie" in den 90ern auch "Kasse" bedeutete und sogar zum Label mutierte. der andere Grund hiess Miramax. Gegründet von den Weinstein Brüdern fertigte man hier Indie zum ersten Mal für ein Massenpublikum an. Die eine oder andere Idee wurde einfach "gemiramaxt". Spannend, sich diese Entwicklung nochmal anhand der besten Filme zu Gemüte zu führen.

Our Daily Free Stream: Trouble (german only)

 Our Daily Free Stream: Trouble (german only). In der Rigaer Strasse wurde gestern die 94 zum Teil geräumt. Die Kadterschmiede unten ist jetzt dicht. Deshalb gibts heute Trouble, ein Film aus der Hausbesetzer Szene der frühen 90er. - Hier kommt ein Film aus dem Kreuzberg zu Beginn der 90er. Jonnie aus Kanada (die schöne Jingo De Lunch Sängerin Yvonne Ducksworth) spielt in einer Band. Ihr Freund (Jan-Erik Engel) ist Hausbesetzer. Politisch aktiv. Die Wiedervereinigung ist drei Jahre her, wir schreiben das Jahr 1993. Hören wir heute die Geschichten über die frühen 90er, klingts immer wie das Schlaraffenland. Wohnungen in Prenzlauer Berg oder Friedrichshain noch zum selben Preis wie in der DDR. Ich hatte selbst so eine Wohnung für sagenhafte 30 DM, allerdings hats durchgeregnet. In der Naunynstrasse musste man für eine Wohnung etwa 200 DM berappen. Ganz langsam macht sich wieder das breit, was man zu West-Berliner Zeiten zu genüge kannte: Wohnungsknappheit. Trouble spielt vor dem Hintergrund dieser Umwälzungen und der Nachfrage nach Wohnraum. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Im Vergleich zu Kreuzberg 2016 sind diese Probleme eine glatter Witz. Jonnies Band organisiert nun ein Strassenkonzert, um darauf aufmerksam zu machen, wie Künstler und Alternative langsam verdrängt werden. Regisseurin Penelope Buitenhuis, ebenfalls aus Kanada, blickt auf Kreuzberg und die alternative Szene. Wundervoll stilisiert in Schwarzweiss, dürfen wir eintauchen in eine heute fremde Welt. Romantische Nostalgie? Aber ja! Nach fast 30 Jahren wird schliesslich auch der Kampf um Wohnraum zum stimmungsvollen Portrait vergangener Zeiten. Trouble ist ein kleiner, aber feiner Film, der zu den echten Berliner Indie Perlen gehört. Eine Entdeckung und die möchte ich natürlich als Videothekar der Filmkunstbar Fitzcarraldo mit euch teilen! "Ein Kampf um Freiheit mit der Kraft der Musik", so der Subtext des Films. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Donnerstag, 23. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Brian De Palma - Body Double


Our Daily Free Stream: Brian De Palma - Body Double. Zum Kinostart der tollen Doku De Palma! - Pures, reines Kino in bester Hitch cock Tradition! Mehr noch, eine Fingerübung in Sachen Hitch cock! Einziger Unterschied: Der Held ist nicht makellos, er agiert schwach und befindet sich in schrecklicher Gefahr. Und wir können uns mit ihm nahtlos identifizieren. Body Double ist ausgesprochen clever konstruiert und legt seine Gewichtung nicht auf Dialoge, sondern das visuelle Erzählen. Minutenlang kommt De Palma (so wie sein Vorbild) ganz ohne das gesprochene Wort aus. Wir befinden uns dabei immer auf dem Wissensstand des Helden, sind weder schneller, noch langsamer als er. Stück für Stück finden wirs mit ihm heraus... Craig Wasson spielt Jake: Weder besonders klug, aber auch nicht dumm, weder perfekt, noch schlecht. Die ideale Wahl, um Zeuge eines Mordes zu sein. Ein anderer Schauspieler (Gregg Henry) hilft ihm aus, als er eine Wohnung sucht und fortan lebt Jake in den Hügeln von L.A. in einem Gebäude, das bestimmt schon einige von euch mal im Katalog gesehen haben. Der Blick aus seinem Fenster eröffnet ihm aber nicht nur die Schönheit der Umgebung. Er beobachtet eine leicht bekleidete Nachbarin, die zu Hause für sich selbst tanzt. Body Double ist so geschickt erzählt und enthält so viele Überraschungen, dass ich an dieser Stelle nur vage fortfahren möchte. Jake wird einen Porno Star (Melanie Griffith) kennenlernen. Er bittet sie um Hilfe bei der Aufklärung dessen, was er gesehen hat. Body Double entführt uns in die Welt des Pornos, wir sehen einige milde Sex-Sequenzen (angeblich hat De Palma sie selbst gefilmt). Body Double spielt aber auch mit den Klischees der Hollywood Thriller aus den 40ern und erfreut sich an Vampir-Exploitation. Zum Glück tappt er dabei nicht in die postmoderne Falle, alles zu zitieren, ohne Gefühl aufkommen zu lassen. Body Double ist ein schneidiger, hochspannender Thriller, der keinerlei logische Pannen aufweist. De Palmas bester Plot! Wie immer hat er keinerlei Scheu, die Grenzen zum Comic hinter sich zu lassen - genauso wenig wie die Barrieren des guten Geschmacks! De Palma kennt keine Angst, sich lächerlich zu machen. Szenen wie die, da Jake in einem Tunnel einen klaustrophobischen Anfall bekommt, sind nicht lächerlich, weil die Geschichte des Films so stark ist.

Mittwoch, 22. Juni 2016

Berlin vor Ort Part II: 1981-2000


Seit B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin wissen wir, wie viele heimlich die Mauerstadt vermisst haben. Genauso viele träumen von dem Abenteuerspielplatz Berlin der 90er. Nur wenige mögen kernsanierte Fassaden und verdreifachte Mieten. Können wir zurück? Aber ja! Im Kino. Hier kommen die besten Filme der 80er und 90er aus Berlin - und zwar für Bezirkspatrioten!
Our Daily Free Stream: Federico Fellini - Variety Lights (engl. subt.)

 Our Daily Free Stream: Federico Fellini - Variety Lights (engl. subt.). Eine Theatergruppe erlebt die reine Lebensfreude, Romantik - und gelegentlich auch eine Entlohnung. Hier kommt ein Road Movie von Federico Fellini! Fast stutzen musste ich, als ich bemerkte, dass Fellini hier sogar kooperierte. Der Neuling teilte sich die Regie mit dem bereits im Neorealismus etablierten Alberto Lattuada. Auf die Frage hin, wer denn nun eigentlich der Regisseur war, antwortete Fellini einmal, dass sie beide den Film für sich beanspruchten. Immerhin spielt Luci del varietà in der Welt, die Fellini am meisten liebt und zu der er immer wieder zurückkehren sollte: Die Welt der zweitklassigen Schausteller. Hier sind sie wieder, seine verblendeten Träumer und die ewige Verlockung des Showbusiness! Der Impresario Checcho del Monte (Peppino De Filippo) und seine Truppe stellen ihre Kunst auf der Strasse zur Schau. Wir lernen nicht nur den Komödianten Checcho kennen, sondern auch einen Imitator oder einen phantastischen Entertainer. Unvergesslich, Fellinis Frau Giuletta Masina als Checchos untertänige Freundin. Checcho selbst, ein ausgereifter Egoist, der nur für den Applaus des Publikums lebt. In diese durchaus glückliche Gruppe trifft nun die Schönheit vom Lande Liliana (Lattaudas Ehefrau Carla Del Poggio). Sie wird nicht nur zum Star der Show, sondern auch zum Objekt von Checchos Begierde. Wie er sie verfolgt und gedemütigt wird, bestimmt von nun an den Fortgang der Handlung - denn natürlich ist Liliana nicht so unschuldig wie es scheint... Besonders sympathisch: Die grosse Liebe zu den Schaustellern, ja die Nachsicht mit der sie gezeigt werden. Wie sie sich vor einem gelangweilten, ja schlafenden Publikum abarbeiten und immer an ihrem Traum festhalten. Wie Helden werden sie hier vorgeführt, aber auch die Allerweilts-Gesichter des Publikums bleiben im Gedächtnis. Die Schattenseiten dieses Lebens blendet der Film einfach aus. Luci del varietà ist ein Ensemble-Film, der das Ganze über die einzelnen Individuen stellt. Manchmal wünschte ich mir etwas mehr von Giuletta Masina, deren Genie erst in späteren Fellini Filmen voll entfaltet werden soll, aber das ist Fellnis Anliegen hier noch nicht. Wer eine klare Narration erwartet, wird hier noch nicht bedient. Einen Blick wert ist die Welt der Schausteller aber allemal!

Dienstag, 21. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Woody Allen - Husbands And Wives


Our Daily Free Stream: Woody Allen - Husbands And Wives. Die Eröffnungs-Sequenz von Woody Allens Husbands and Wives - ein langer, ununterbrochener Shot, ganz so als befänden wir uns in einer Doku. Die Kamera stolpert hin und her, führt uns nervös zuckend durch den Raum in dem zwei lange verheiratete Paare zusammen sitzen. Das eine Ehepaar erklärt dem anderen, dass sie sich scheiden lassen wollen. Man hätte dieses Gespräch auch mit einem Stativ filmen können, doch offensichtlich wollte Woody Allen etwas anderes erreichen. Er wollte eine gehetzte, verrückte Kamera, die genauso durcheinander ist wie die Charaktere in Husbands And Wives. Sydney Pollack (ja, der Regisseur!) und Judy Davis spielen das Paar, welches die Scheidung einreicht. Ganz entspannt und vernünftig. Die Scheidung ermöglicht es ihnen, zu wachsen. Ist es nicht viel sinnvoller, zu wachsen, als Kompromisse zu schliessen und sich zu binden? Diese Neuigkeit wirkt wie ein Schock auf das andere Paar, verkörpert von Woody Allen und Mia Farrow. Ihre Freunde schienen doch so glücklich, so perfekt miteinander! Vermutlich war die Trennung von Allen und Farrow (die zeitgleich zum Dreh ausgefochten wurde) für viele von uns ein ähnlich grosser Schock! Beide waren zwar nicht verheiratet, hatten aber doch diese gewachsene Beziehung, so dass sie gemeinsam arbeiten konnten, die Adoptiv-Kinder gross zogen und im Mittelpunkt ihre Liebe hatten. So dachten wir damals jedenfalls... Husbands And Wives argumentiert nun allerdings, dass die meisten modernen Beziehungen längst nicht so dauerhaft sind, wie sie scheinen. In jedem von uns steckt ein Kind, das "Ich! Ich! Ich!" schreit. Wenn wir sagen, wir wünschen doch nur, dass der Andere glücklich ist - meinen wir dann nicht: Wir wünschen, dass er mit UNS glücklich ist und zwar genauso wie wir sind - auf dass wir uns nie verändern müssen? Betrachten wir doch einmal die Szene, in der Allens Charakter auf Pollack trifft, irgendwo draussen auf der Strasse. Pollack lebt nach der Scheidung mit seiner Fitness Trainerin. Sie hat einen gestählten Leib und den Horizont, den man aus Frauen Magazinen erlernen kann. Die Beziehung zwischen dem ergrauten Mann und ihr beruht offensichtlich einzig auf einer Sache: Sex. Hören wir nun aber auf Pollacks Charakter, wie er nervös über sie spricht, bemerken wir, dass es doch um viel mehr geht. Hier will ein Mann seine verlorene Jugend zurückgewinnen. Sie als seine zweite Chance wahrnehmen! Die Chance, die er glaubt, zu verdienen! Und sie? Sie liebt ihn, weil er eben ER ist. Sie liebt ihn aus dem Grund, aus dem jeder von uns geliebt werden will. Später aber wird sich die Fitness Trainerin als höchst langweilige Person entfalten, die über Diäten und Astrologie daher quatscht. Und er? Es reicht ihm nicht, dass sie ihn bewundert. Er verlangt darüber hinaus, dass sie nicht dumm ist. Was für ein schwer zu befriedigender Mann! Dieser gedankliche Prozess, wie wir eine Beziehung bewerten, das ist das Herz von Husbands And Wives. Gespiegelt wird das, wenn auch das andere Ehepaar (Allen und Farrow) sich scheiden lassen will. Allen als etwa 50jähriger Professor fühlt sich von seiner Studentin (Juliette Lewis) angezogen, die wiederum eine neurotische Schwäche für ältere Herren hat. Natürlich ist der Allen Charakter dem gegenüber blind und will trotz seiner dünnen Haare nur für seine Person - und sonst nichts! - geliebt werden. Von was aber fühlt sie sich wirklich angezogen? Vom Verfall der Sterblichkeit. Die besten Szenen im Film sind die zwischen Allen und Farrow, vor allem, weil die Dialoge beider aus dem wahren Leben herausgeschnitten sein könnten. Hat Allen da auf echte Gespräche mit ihr zurückgegriffen? Beide reden über Vertrauen und versuchen sich krampfhaft, um die Stolpersteine Lust und Sex herumzudrücken. Beide Ex-Eheaare stellen dabei dieselbe Frage: Ist das alles? Müssen wir unsere Fantasien über den perfekten Partner hinter uns lassen, um das angenehme Leben mit unserem tatsächlichen Partner zu akzeptieren? Immerhin ist es der Allen Charakter, der erkennt, dass die 20jährige Studentin eine Illusion bleiben wird. Sie kann ihm eine romantische Vision bieten, aber nie seinen Durst stillen. Er kehrt zurück ins wahre Leben. Doch was tat der echte Woody Allen zu der Zeit? Im Grunde sagt Allens Film wenig über Liebesbeziehungen aus. Sein Film handelt davon, dass das Leben kurz ist, die Zeit uns durch die Finger rinnt. Das Leben bietet uns diese romantischen Versionen an, um sie uns sofort wieder wegzunehmen. In dem Moment, da unsere Illusionen zu Fleisch werden, beginnen die Haare auszufallen, verströmen sie Körpergeruch oder fragen uns, welches Sternzeichen wir haben... Die wahre Liebe aber liebt auch das, was nicht perfekt ist. Woody Allens Charaktere in Husbands And Wives finden das für sich heraus. Leider wohl zu spät, um ihrem Regisseur dabei im echten Leben zu dienen...
Avantgarde / Experimentalfilm 00er-heute


Nicolas Winding Refns The Neon Demon wird wie jeder neue Film des Dänen einige Kontroverse auslösen. Dabei wird es vor allem um die Enttäuschung vieler gehen, dass hier doch die "Handlung" fehlt. Ganz stur arbeitet "NWR" in einem Genre weiter, das in der Vergangenheit nur ausnahmsweise die Kinos füllen konnte: Dem Avantgarde- und Experimentalfilm. Tatsächlich sollte unsere Filmkunstbar Fitzcarraldo anfangs ausschliesslich Filme aus diesem Bereich anbieten. Die übrigen DVDs wollte ich in einem zweiten Laden unterbringen. So gabs bei uns eine Weile ausschliesslich "Bilderfilme" - und kaum Kunden. Wenn aber nicht einmal in einem Bezirk wie Kreuzberg, den ich als "weiss, akademisch und international" bezeichnen würde, jemand Experimente leiht - wie schwer muss es dann für Nicolas Winding Refn sein, seine Ware an den Mann zu bringen? Hier kommt ein Querschnitt der populärsten Filme aus diesem Bereich der letzten Jahre. Das tolle Comeback von Leos Carax (Holy Motors), die kalte Schönheit der Filme von Gaspar Noe (Love, Enter The Void), die Ruhe von Bela Tarr (The Turin Horse) oder die Selbstbeschau des Lars von Trier (Antichrist)...

Montag, 20. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Bernardo Bertolucci - The Dreamers


Our Daily Free Stream: Bernardo Bertolucci - The Dreamers. Im Mai 1968 waren es drei Dinge, die unseren Planeten bewegten: Sex, Politik und das Kino. In Paris weitete sich die Amtsenthebung von Henri Langlois, dem legendären Gründer der Cinematheque Francais zu einer Revolte aus mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen. Barrikaden in den Strassen, Molotows und Zusammenstösse mit der Polizei - eine Vertrauenskrise. Es ist heute bestimmt nicht mehr vorstellbar, welch immensen Einfluss die neue Generation der Filmemacher damals hatte. Einer von ihnen war Bernardo Bertolucci, der als verlängerter Agitprop Arm der Revolution diente. Wenn mein Vater mit seinen Geschwistern zusammen sitzt und über diese Zeit in nostalgischen Erinnerungen schwelgt, kann man nachvollziehen, was The Dreamers hier an Erinnerungen wieder aufleben lässt. Es ist wie einer dieser Abende bei uns, an dem die ehemaligen "Revolutionäre" von ihren Heldentaten berichten. Mit nur 24 Jahren drehte Bertolucci sein Debüt - ein politisches Manifest. Später sollte er mit expliziter Nacktheit die Kunst seiner Zeit "modifizieren" (Ich denke, in etwa so sprach man damals tatsächlich über Filme). Ich denke, es ist wichtig, sich über diesen Hintergrund klar zu werden. Bertoclucci jedenfalls, hatte all das mit Sicherheit im Hinterkopf als er The Dreamers filmte. Er schliesst an seinen legendären Klassiker aus dem Jahr 1972 an. Wieder ist die Handlung auf ein Pariser Apartment beschränkt. Wieder erleben wir grenzüberschreitenden Sex. In einem überaus symbolischen Moment schliesslich, fliegt ein Stein durchs Fenster - die Revolution erlöst unsere drei Helden aus ihrer introvertierten Liebes-Triangel. Doch von vorn. Matthew (Michael Pitt), ein junger Amerikaner aus Kalifornien, kommt nach Paris, um dort zu studieren. Er trifft auf die Zwillinge Isabelle (Eva Green in ihrer ersten grossen Rolle) und Theo (Louis Garrel, ebenfalls in seinem ersten grossen Auftritt). Sie sind die Kinder eines berühmten französischen Poeten und seiner britischen Frau. Fast ihre gesamte Zeit verbringen sie mit Filmen. Die Dialoge können sie auswendig und vor allem zur richtigen Zeit in ein Gespräch einbauen. Einmal witzelt Isabelle über Matthew: "You're awfully clean for someone who goes to the cinema so much." Er ist viel mehr als das: Ein unschuldiger, idealistischer Yankee. Das sind die Kinder des Kinos, die Jünger der französischen Neuen Welle. Wer schritt in welchem Film die Champs Elysees auf und ab, um den New York Herald Tribune zu verkaufen? Fragen wie diese, gehören in Bertoluccis Film unbedingt dazu! In The Dreamers gehts aber um mehr als ein blosses Kino-Quiz. Sex ist die Grundlage. Matthew trifft die Zwillinge auf einer Langlois Demo (die Bertolucci geschickt mit Footage Material von Jean-Pierre Leaud verpackt und einige der legendären Regisseure kurz durchs Bild huschen lässt). Matthew ist glücklich und schreibt seinen Eltern; "I have at last met some real Parisians!". Nach und nach aber wird er in dem Apartment der Zwillinge in ihre sexuelle Welt gezogen. Mittels eines Ratespieles gewinnt Theo und verordnet Matthew, dass er mit Isabelle schlafen muss. Matthew, obwohl betrunken und auf Droge, weiss, dass etwas falsch läuft. Isabelle aber ist von so überirdischer Schönheit, dass er sich darauf einlässt... The Dreamers ist ein Film von grandioser Schönheit, Bertolucci einer der grossen "Maler" des Kinos - fast ein alter Meister! Hingebungsvoll wirft er seine drei Charaktere immer wieder in klassische Fimszenen. Solche Referenzen werden mal mehr und mal weniger subtil vorgetragen - unmöglich sie alle zuzuordnen! Ich denke, der Titel rührt daher, weil die Drei eben so lange träumen, bis der Stein durch ihr Fenster saust. Die Realität mit Tränengas und Molotow Cocktails bricht schliesslich ein in ihre Abgeschiedenheit. Uns wird bewusst, dass weder das Kino noch die sexuelle Befreiung je die Welt hätten ändern können - obwohl das bestimmt eine Zeit lang so schien. Macht und Geld sind der Antrieb jeder Veränderung. Matthew kann den Zwiilingen draussen im Zuge der Strassenkämpfe nicht folgen. Er verlässt sie in die entgegengesetzte Richtung. Wer weiss, was aus seiner Zukunft wird? Vielleicht wird er eines Tages der Regisseur von The Dreamers?

Sonntag, 19. Juni 2016

60s Autorenfilme - politisch


60s Autorenfilme - politisch

Die Kinder von Karl Marx und Cocal Cola. Normalerweise sind deutsche Verleihtitel albern, aber im Falle von Jean-Luc Godards Masculin Feminin trifft der deutsche Titel ins Schwarze. Ein Werk, dass gängige Erzählstrukturen aufbricht und sich nicht mit einer "privaten" Botschaft zufrieden gibt. Godard gab an, von nun an zwar keine "politischen Filme" zu machen, aber "politisch Filme zu machen". Politik in den 60ern? Eine simple Übersetzung müsste heissen, dem "dialektischen Materialismus" unterworfen. Willkommen in einer Zeit, da sich niemand mehr verständlich ausdrücken wollte - das gilt auch filmisch. Oder hat irgendjemand die Motivation in Zabriskie Point verstanden, erst einen Polizisten zu erschiessen und anschliessend ein Flugzeug zu bemalen? Während auf den Strassen militante Studenten das nachspielen, was sie im Kino gelernt haben, durfte sich niemand diesem "Wehrdienst" entziehen. Francois Truffaut war so einer. Sein Freund Godard strafte ihn dafür und aus Freunden wurden Feinde. Ab 1968 gehörten Truffauts Filme nicht mehr dazu. Sie hatten nichts mit den Strassenkämpfen zu tun; sie gehörten zu den Lügen, die verbreitet wurden. Ist das der Grund, weshalb Godard nach wie vor viel beliebter ist als Truffaut? Hat man ihn totgeschrieben? In den späten 60ern brach eine geradezu manische Liebe zum Kino aus. Antiintellektuelle Stutzer mögen sich heute darüber lustig machen, ich aber mag die Vorstellung, dass ein paar hornbebrillte Herren über ihren Rauchschwaden an der Revolution brüten. Hier kommen die besten Filme dazu.

Samstag, 18. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Michelangelo Antonioni - Zabriskie Point


Our Daily Free Stream: Michelangelo Antonioni - Zabriskie Point. Nichts ist unangenehmer, wenn sich Erwachsene im Film wie Kinder benehmen. Wenns wahnsinnig schmalzig wird, beide durch einen Park tollen und die Schwäne füttern und die ganze Zeit kichern. Michelangelo Antonioni hat seine tiefen Einsichten darüber, wie kultivierte Langeweile jedes Leben aus dem Menschen saugt, in einer Reihe von Meisterwerken der 50er und frühen 60er ausgedrückt. Dann wurde er aus Versehen als Popart Ikone weltberühmt. Für Zabriskie Point ging er schliesslich nach Hollywood. Antonioni hatte seinen Stil gefunden. Er inszenierte Filme von grosser Leere, die wohl nie jemand ganz begriff. Es waren Filme aus dem gehobenen Bürgertum. Nun fühlte er sich wohl verpflichtet, einen Film über die Hippie Ära zu machen. Ein Opfer der späten 60er, die so viele grossen Autoren zu "engagierten" Filmemachern machte. Antonioni ist aber kein Aktivist und sein Talent liegt nicht darin, politische Themen aufzugreifen. Antonionis figuren wirkten immer so unglaublich blockiert - gelähmt. In Zabriskie Point aber erheben sie ihre Stimmen - und klingen leer. Die Schauspieler agieren nicht miteinander. Sie führen narzistische Selbstgespräche. Der Held aus Zabriskie Point hält eine radikale Rede aus dem Stehgreif (ohne jede Motivation) und beschliesst anschliessend, persönlich einzugreifen (ohne jede Motivation). Vielleicht tötete er dabei einen Polizisten (aber wir wissen ja, wie ungefähr ein Mord bei Antonioni sein kann). Er klaut ein Flugzeug, flüchtet in die Wüste und liest ein schönes Mädchen auf. Ein paar Mal umkreist er sie, dann rennen beide in die Dünen und lieben sich. Im tiefsten Punkt der USA, in Zabriskie Point (man bemerke den symbolischen Gehalt). Die Sexszenen wirken wie abgepaust aus anderen Filmen, ohne echtes Gefühl oder gar Lebensfreude. Wir sehen einfach zu, wie ein Liebespaar im Sand rumkugelt. Eine lächerlich lange Sequenz. Wie gehts weiter? Unser Held malt sein Flugzeug an mit psychodelischen Farben. Er fliegt zurück nach Los Angeles und wird von Polizisten ermordet. Es ist nicht einfach, Zabriskie Point zu folgen, aber so simpel ist der Film im Grunde. Nebenbei zeigt Antonioni noch wie korrupt und verdorben Amerika ist (zu bemerken durch öffentliche Anschläge). Bleibt festzustellen, dass Antonioni kein Gefühl dafür hat, wie junge Menschen so sind. In seinen italienischen Filmen, führte er uns Erwachsene vor. In Zabriskie Points sehen wir Kids, wie sie die Sand Dünen rauf und runter rollen.

Freitag, 17. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Pedro Almodovar - Live Flesh (german dubbed)


Our Daily Free Stream: Pedro Almodovar - Live Flesh (german dubbed). Almodovar ist mit seinem neuen Film Julieta wieder im Melodram gelandet. Das steht ihm auch besser! Deshalb zeigen wir heute Live Flesh. - Liebe und Leidenschaft - die Triebfeder in fast allen Almodovar Filmen. Mit den Jahren aber wurde die Verzweiflung der Liebenden für uns deutlicher spürbar. Die Verzweifelung, die in dem Akt grausamer Leidenschaft steckt. Prolog: In der Neujahrsnacht 1970, als Franco den Ausnahmezustand über Madrid verhängt und die Menschen vor Angst zu Hause bleiben, gebährt eine Prostituierte (die junge Penelope Cruz) ihren Sohn in einem Linienbus. 20 Jahre später ist aus Victor (Liberto Rabal) ein ansehnlicher Kerl geworden. Er ist mit einer Frau verabredet, aber die weist ihn zurück. Es wird laut zwischen den Beiden und zwei Polizisten rücken an. Der Eine ist betrunken und aggressiv, weil ihn seine Frau betrügt. Handgemenge. Ein Schuss fällt. Der zweite Beamte David (Javier Bardem) bricht zusammen. Fortan ist er querschnittsgelähmt. Welche Geschichte wird uns erzählt? Was ist überhaupt passiert? Wir wissen es nicht. Die junge Frau Elena (Francesca Neri), Victor, David und der aggressive Polizist verwickeln sich in ein Netz aus Schuld, Hass und Rache. Erst Jahre später wird er aufgelöst - und immer noch tappen wir im Dunkeln. Eine Geschichte, die fünf Figuren zu gleichen Teilen betrifft. Das ist die grosse Kunst, die Almodovar hier erfolgreich probiert! Die fünfte Figur heisst Clara (Angela Molina) und sie ist unglücklich verheiratet mit dem aggressiven Polizisten. Mit Live Flesh hat Almodovar zum ersten Mal ein Melodram gefilmt. Eine neue Periode begonnen. Das Genre entspricht seinem Temperament, wirkten doch auch seine frühen Filme oft wie Telenovelas. Am liebsten setzte der Spanier ältere Schauspielerinnen ein - gleich den grossen Hollywood Diven. Seine Figuren in Live Flesh wirken tatsächlich lebendig. Sie quälen sich mit den grossen Fragen nach Schuld und einem reinen Gewissen. Ist das überhaupt möglich in dieser Almodovars Welt? Almodovar befreit sich aus den Fesseln der Postmoderne, dem Zwang, immer verrückter sein zu müssen. Mit Live flesh ist er viel mehr: Wahrhaftig!

Donnerstag, 16. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Little Children


Our Daily Free Stream: Todd field - Little Children. Seit zehn Jahren hat er weder Regie geführt, noch vor der Kamera gestanden. Nun aber sind gleich drei Projekte von Field als Regisseur angekündigt, Darunter The Creed Of Violence, ein Thriller. Wir zeigen Little Children aus dem Jahr 2006. - Kinder - wie ärgerlich können sie sein, vor allem, wenn sie bereits über 30 Jahre alt sind! Immer noch pubertierende "Youngsters", die nachmittags im Schwimmbad abhängen oder Kunststückchen auf ihrem Skateboard vorführen. "Youngsters" sind aber noch nicht einmal die widerlichsten Figuren in Todd Fields Little Children. Noch schlimmer sind die vordergründig "Erwachsenen", die sich einander genauso verbohrt wie grausam behandeln. Üble Nachrede, eines der Hauptmotive von Little Children. Dabei sind sie alt genug, um es besser zu wissen. Das Problem nur: Sie kennen sich selbst kein Stück! Little Children führt uns nach New England, das uns wie in einem Horrofilm serviert wird. Stagnation und moralische Verrohung liegen so bleischwer wie die heisse Sommerluft über dem Viertel, in dem doch lauter "gute" Nachbarn leben! Schon tauchen wir ein in diesen merkwürdigen und oft ekligen Film. Little Children ist eine Yuppie Satire und doch noch mehr - Todd Fields Film bringt immerhin echtes Mitgefühl für seine Protagonisten auf. Die allesamt unreifen Charaktere werden anfangs in Paarkonstellationen eingeführt. Sarah (Kate Winslet) ist eine junge Mutter mit einem Abschluss in Literatur. Ihren literarischen Helden fühlt sie sich offenkundig näher als ihrer kleinen Tochter. Sie ist verheiratet mit dem älteren und äusserst unattraktiven Richard (Gregg Edelman). Diese Ehe wirkt wie ein Erfindung des Films, so dass Sarah ihren Mann verlassen kann. Sportskanone Brad (Patrick Wilson), der einstige Highschool Sunnyboy kann sehr gut mit seinem Sohn, aber umso weniger mit seiner unterkühlten Ehefrau Kathy (Jennifer Connelly). Sie ist eine Dokumentarfilmerin, agiert stets manipulativ und fühlt sich dem Kind näher, dass sie gerade portraitiert, als dem eigenen Sohn. Nach aussen hin eine perfekte Familie, so dass wir begreifen; das wird so nicht bleiben... Schliesslich noch Ronald James McGorvey (Jackie Earle Haley), der sich vor kleinen Mädchen enthüllt. Ronnies Mutter glaubt, ihr Sohn müsste einfach nur eine nette Frau seines Alters kennen lernen, um endlich mit seinem Quatsch aufzuhören. Sie hat Unrecht. Verfolgt wird Ronnie von einem pathologischen Verlierer, dem Polizisten Larry (Noah Emmerich). Er hasst und fürchtet Ronnie. Brad und Sarah lernen sich nun kennen, verlieben sich wie unschuldige Kinder ineinander. Sie verstehen sich. Es wirkt allerdings absurd, dass uns Little Children Kate Winslet als wenig attraktive Frau verkaufen will. Wenn Brad ihr schmeichelt, die Schönheit seiner Frau (alias Jennifer Connelly) sei überbewertet, ist das zwar niedlich, aber unglaubwürdig. Little Children ist ein guter Film, der trotzdem immer wieder tiefe Momente bereit hält und seine Satire subtil entwickelt. Ist Ronnie nicht die Verzerrung von Sarah und Brad? Viel weniger das Monster, dass alle in ihm sehen, sondern eben immer noch im Kindesalter? Obwohl ich keinen der Charaktere mochte, konnte ich mich doch einlassen auf Fields Film. Wenn das nichts ist?

Mittwoch, 15. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Aimee & Jaguar (german only)

 Our Daily Free Stream: Aimee & Jaguar (german only). Maria Schraders Biopic über Stefan Zweig darf als deutsche Kinoüberraschung des Jahres durchgehen! Deshalb zeigen wir ihren berühmtesten Film Aimee & Jaguar! - Felice (Maria Schrader) ist jüdisch und lesbisch - und sie lebt in Berlin 1943. Felice muss also in jedem Augenblick damit rechnen, getötet zu werden. Felice ist aktiv für eine Widerstandsbewegung im Untergrund, während sie tagsüber für eine nationalsozialistische Zeitung arbeitet. Versteckspielen im gutbürgerlichen Milieu, so ihre Strategie. Ihre grösste Waffe: Kühnheit! Doch dann verliebt sich Felice in Lilly (Juliane Kohler). Sie ist vierfache Mutter, der Mann an der Front. Lilly betrügt ihren Gatten mit einem Offizier. Ihr erster Auftritt; an seiner Seite während eines Beethoven Konzerts - sie betrügt ihn sogar mit ihrem Kindermädchen. In einem Nachtclub bemerkt Lilly Felice und ihre Freundinnen. Sie ist zu naiv, um zu verstehen, dass diese Frauen Lesbierinnen sind und jüdisch. Wie sollte man das auch von einer Nazi-Angestelltin für möglich halten? Aimee & Jaguar (so die Kosenamen von Lilly und Felice) beruht auf einer wahren Begebenheit. Als der Film Ende der 90er ins Kino kam, da war Lilly Wust über 80. Der Krieg, das ist die Zeit für aussichtslose Liebesgeschichten. Die Liebe von Aimee und Jaguar, sie trotzte den Nazis, dem System, der ganzen Welt! 1943 war es offensichtlich, dass die Deutschen den Krieg verlieren würden. Bomben regneten über Berlin, man war kriegsmüde. Für Lilly war diese neue Liebe eine Offenbarung! Sie, die anfangs nicht einmal wusste, dass Felice Lesbierin ist, reagiert zunächst schockiert. Dann aber erleben wir diese intensive Sexszene! Es ist keine, die Nacktheit sinnlos zur Schau stellt. Es ist eine der wahrhaftigsten, die ich je sah! Wir erleben beide Frauen zitternd, voller Angst, sie könnten die Kontrolle verlieren - und dieses Gefühl dominiert den gesamten Film. Maria Schrader spielt ihre Felice wie eine Verdammte, eine Frau, die weiss, dass ihre Tage gezählt sind. Sie ist keine gewöhnliche Jüdin, sondern eine, die ins Zentrum des Nationalsozialismus vorgedrungen ist. Sie wird von denen verurteilt werden, mit denen sie sich noch zuvor vergnügte. Anfangs nimmt sie es als boshafte Gelegenheit war, einen Offizier mit der eigenen Frau zu betrügen. Später ist sie genauso wie Lilly überrascht, dass beide sich verlieben. Es gibt diesen Moment, da geht das Gerücht um, Hitler sei gestorben. Für viele in Berlin eine Erleichterung, da der Krieg sowieso verloren schien. Wieviel mehr aber ist es für Felice! Doch dann hört sie die Stimme des Diktaturs im Radio - Hitler doch noch am Leben! Diese Tatsache mag ihren Tod besiegelt haben und sie gesteht Lilly, sie sei Jüdin. Fassungslos fragt Lilly, wie Felice sie dann lieben könnte? Der Schlüsselmoment des Films. Einige Fragen bleiben aber doch offen: Wie ist es Lillys Ehemann möglich, einfach aus freien Stücken von der Front zurückzukehren? Wie war es möglich für Felice, in einer Nazi Zeitung zu arbeiten? Hat man nie ihre Papiere kontrolliert? Wieso entschliesst sich Felice, Deutschland nicht zu verlassen? Gab es wirklich keine Möglichkeit? Oder hatte sie eine Wahl? Aimee und Jaguar ist eine Geschichte, die man schwer glauben könnte, wäre sie fiktional.

90s - Die besten Liebesfilme

Filmempfehlungen gefällig?

90s - Die besten Liebesfilme

Liebesfilm, ein Begriff wie Kaugummi, so dehnbar. Ob mit komödiantischen Elementen, Thrillfaktor oder ins Surreale abgleitend. Doch hier gehts um das Gefühl des nostalgischen Rückblicks, denn alle aufgelisteten Titel stammen aus den 90ern. Ach, damals...

Dienstag, 14. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Ingmar Bergman - Skammen (engl. subt.)

 Our Daily Free Stream: Ingmar Bergman - Skammen (engl. subt.). 1968, auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den Vietnam Krieg, machte Ingmar Bergman diesen trostlosen und wütenden Film, der sich gegen jeden Krieg richtet. Ganz gleich, auf welcher Seite man steht. Bereits zuvor nutzte Bergman Footage Material aus dem Vietnam Krieg, um es in das eigene Werk einzubauen - das war 1966 und Bergman bezog eindeutig Stellung, indem er einen Mönch zeigte, der sich anzündet. Was war in den zwei dazwischen liegenden Jahren geschehen, dass Bergman nun keine Partei mehr ergreifen wollte? Eine Frage, auf die wir keine Antwort erwarten dürfen. Skammen verweigert sich, uns in irgendeiner Form eine Botschaft unterzujubeln. Im Mittelpunkt, Bergmans Schauspieler Liv Ullmann und Max von Sydow als gequältes Paar. Beide arbeiteten bereits drei Mal zusammen unter Bergman und es scheint, als hätten sie im Grunde jedes Mal dasselbe Paar gespielt. Einst arbeiteten sie als Musiker im Sinfonie Orchester, nun leben sie auf einer abgeschiedenen Insel und bauen Gemüse an. Nichts scheint in ihrem Haus zu funktionieren, nicht einmal das Radio. Der Krieg, der draussen tobt, wird von ihnen als Grollen im Hintergrund wahrgenommen. Eva Rosenberg (Ullmann) hat Angst um das Wohl ihrer Familie, ihrer Kinder. Ihr Mann Jan (von Sydow) glaubt, der Krieg würde sie schon verschonen... Immer wieder aber jagen die Kampf Flieger tief über ihr Haus hinweg. Ein paar barsche Fragen werden aufgeworfen. Eva hatte Sex mit einem Colonel. Tat sie es, um die Familie zu beschützen? Ihre eigene Ehe aber verläuft in quälender Ungewissheit. Jan scheint Geld zu verbergen. Womöglich, um sich Frieden zu kaufen? Wir erleben ein Paar, dass alle Gewissheiten hinter sich liess und in eine neue verzweifelte Welt geworfen wird. Beiden finden langsam zu sich: Wer sind sie in Wahrheit? Was fühlen sie tatsächlich? Der grösste Feind in Skammen, das ist die Ideologie. Jan und Eva werden verdächtigt, "Sympathisanten" zu sein, wobei der Film uns aber im Unklaren lässt, für welche Seite. Er erklärt auch nicht, wofür sie stehen. Es gibt für Zivilisten im Krieg keinen Ausweg. Jan und Eva sind weder "Sympathisanten" für die eine Seite, noch "Patrioten" für die andere. Genauso gut könnte Skammen für die nicht-kämpfenden Menschen in Syrien, Irak (...) stehen - such dir einfach jeden x-beliebigen Kampf-Schauplatz aus.

Montag, 13. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Werner Herzog - Aguirre


Our Daily Free Stream: Werner Herzog - Aguirre. Herzog bietet neuerdings online seine Dienste an, uns in sein Handwerk einzuweisen. Doch kann man im Internet lernen, wie man einen Aguirre filmt? Ein Fluss, den Gott nie beendete - dort spielt Werner Herzogs Aguirre. Die letzten Mitglieder einer spanischen Expedition, auf der Suche nach der Goldstadt El Dorado. Sie brüllen die eingeborenen Indianer an, versuchen mit Hilfe ihrer Sklaven zu übersetzen. Ein Priester hält ihnen die Bibel, das Wort Gottes, entgegen. Vergeblich, El Dorado muss am Ende dieses Flusses liegen. Weiter, immer weiter... Werner Herzogs Aguirre ist eine der eindringlichsten Visionen des Kinos. Die verdammte Expedition des Konquistadors Gonzalo Pizarro, der im 16. Jahrhundert eine Handvoll Männer in den Regenwald Perus führte. Was hat Herzog daraus für Bilder gezogen! Eine lange Linie von Eroberern, über ihnen hängen verwunschene Nebelwolken, die feststecken in den Gipfeln der Anden. Die Männer tragen rundliche Stahlhelme. Ihre Frauen werden in Sänften getragen - gekleidet für einen Empfang am Hof, aber nicht für den Dschungel. Quälend klingt dazu die Musik von Florian Fricke, der so viele von Herzogs Filmen veredelte. Wir hören eine Art Orgel, die sich wie ein menschlicher Chor anhört - und doch wieder nicht menschlich klingt... Die Musik ist essentiell für Herzogs Film, der keine Geschichte mit einer Auflösung erzählt, sondern uns in eine bestimmte Stimmung versetzt: Es ist das Gefühl, teilzuhaben an einer wahnwitzigen Vision. Wir werden aus Raum und Zeit gerissen, hinein in Herzogs spirituelle Welt. Dorthin, wo das Universum den Menschen niederringt. An den Punkt, in dem seine Träume und Wahnvorstellungen entspringen. Genauso entscheidend wie die Musik ist das Gesicht Klaus Kinskis. Mit seinen blauen Augen und seine fleischigen Lippen könnte dieser Schauspieler sinnlich wirken, würde sich sein Mund nicht immer wieder zu einem steifen Grinsen verziehen. Herzog behauptete einmal, Kinski schon in jungen Jahren kennen gelernt zu haben, als er vor Wut eine Toilette zerschlug. Laut Herzog konnte man anschliessend die Keramikscherben durch einen Tennisschläger sieben. Kinski, seine Muse! In dem Moment, da Pizarro bemerkt, dass seine Expedition eine Torheit ist, schickt er wenige Männer vor, den Fluss zu erkunden. Angeführt wird diese Gesandschaft von dem Aristokraten Don Pedro de Ursua gemeinsam mit Aguirre (Kinski). Mit dabei, ein paar Soldaten und Sklaven, ein Priester sowie Aguirres Tochter Inez. Ein Sklave erzählt den Frauen, dass er einst ein Prinz war, dem niemand ins Gesicht sehen durfte. Heute steht er in Ketten vor ihnen. Herzog hat keine Eile und nicht das Bedürfnis, diese Reise mit Action aufzublasen. Stattdessen vermittelt er uns ein Gefühl für die Grenzenlosigkeit des Flusses und des Regenwaldes darum herum. Kein Ufer ist in Sicht, alles wurde durch das Hochwasser geflutet. Das Schicksal dieser Entdeckungsreise: Der Tod. Nach und nach sterben die Anführer, schliesslich regiert Aguirre, terrorisiert die Hinterbliebenen. Wahnsinn liegt in seinen Augen. Er glaubt, jemanden flüstern zu hören - eine Verschwörung... Sofort trennt er den Kopf des Verräters ab! Die letzte Einstellung ist eine der nachhaltigsten und eindrucksvollsten, die ich je im Kino sah: Aguirre ganz allein auf seinem Floss, umgeben von Hunderten kleiner Äffchen. Und immer noch plant er sein Imperium. Die Herstellung von Aguirre gehört an sich in den Mythenkreis des Weltkinos. Wie Herzog in einem entlegenen Teil des Dschungel drehte, wo das Fieber tobte und man leicht den Tod erwarten durfte. Herzog behauptet, Kinski die Regie-Anweisungen mit einem Gewehr gegeben zu haben. Kinski wiederum verneint das: Nur er hätte ein Gewehr besessen! Die gesamte Crew verbrachte den Dreh auf denselben Flossen, die wir auch im Film sehen. Herzog, erklärt, alle Dialoge wären ihm unmittelbar vor den Szenen eingefallen. Aguirre wird weder durch Dialoge getragen, noch durch Charaktere. Nur Kinski füllt seinen Aguirre aus mit seinem Blick, seiner Körpersprache. Es ist eine Geschichte, direkt aus Herzogs Universum: Ein Mann, der das Unmögliche versucht, seine Vision zu leben. Ein Mann, der die Natur herausfordert. Von allen Filmemachern ist Werner Herzog der obsessivste, der besessenste! Nur ganz wenige Filme erreichen die Kühnheit dieser, seiner Vision und ihnen allen ist gemein, dass sie keinen ordinären Erfolg suchen, sondern Transzendenz. Vergleichen lässt sich Aguirre aber nur mit einem einzigen Film: Dem Herzog Film, der unserer Filmkunstbar Fitzcarraldo ihren Namen verlieh!

Sonntag, 12. Juni 2016

Our Daily Free Stream: Klaus Lemke - Kein grosses Ding (german only)


Our Daily Free Stream: Klaus Lemke - Kein Grosses Ding (german only). Ist das nicht ein toller Film? Es gibt viel zu lachen, die Figuren darin sind echt und deshalb berühren sie uns auch! Wir sehen ein paar Strassen und Läden, die wir kennen (Kreuzberg eben)! Und über allem das Gefühl der Nouvelle Vague und des jungen deutschen Films als er noch wild und sexy war! Klaus Lemke ist ein grosser Romantiker und offensichtlich liebt er auch Berlin. Lemke ist aber auch ein Überlebender der 60er als Film noch ein Abenteuer war! Kein Grosses Ding atmet den Geist dieser Aufbruchszeit. Henning Gronkowski spielt einen Jung-Berliner, der als Stripper was werden will. Thomas Mahmoud spielt einen Filmvorführer, der gerade aus dem Knast kam und als wichtigsten Besitz eine alte Lidl-Tüte mit sich herumschleppt. Mahmoud ist ein Schnorrer, einer der nie was hat und immer alles verlangt. Mahmoud glaubt, dass ihm das zusteht. In Wahrheit aber ist er reich - und zwar an Talent! Ein begnadeter James Brown Imitator! Der echte Mahmoud ist übrigens ein toller Schauspieler, der hier mit Bravour einen Neurotiker gibt. Eine männliche Zicke, mit ders keiner aushalten kann. Ausser Henning, der geradezu um den Einzelgänger buhlt. Das ist das Paar, um das Lemkes Film kreist. Sie lieben sich, streiten sich und vesöhnen sich wieder. Wie ein altes Ehepaar. Irgendwann kam Lemke in die Filmkunstbar Fitzcarraldo, um bei uns ein paar Szenen zu drehen. Ein bischen konnte man dabei was lernen: Lemkes Kamera, die ständig in Bewegung ist und seinen Filmen diesen Swing verleiht. Und seine Dialoge, die er auf kleine Zettel kritzelt, um sie auf der Leinwand zum Leben zu erwecken. Die beiden Mädchen hiessen Tini-Kristin Bönig und Leila Lowfire. Tini aus Hamburg spielt die weibliche Hauptrolle und hat sogar ihre eigene Lemke Geschichte, denn der drehte bereits mit ihrem Vater. Leila verfügt über offenkundige Qualitäten und das muss auch in einem Lemke Film. Schliesslich stellte ich ihm eine Kundin vor, Olivia Kundisch. Lemke reagierte begeistert und drehte gleich ein paar Szenen mit der Neuen. Ganz wichtig ist ihm, die Leute spontan mitzunehmen. Auf keinen Fall dürfen sie im voraus wissen, dass er mit ihnen drehen will! Ein Tag reicht aus und sie werden zum "Star" - für Lemkes Welt also unbrauchbar. Schliesslich interessieren ihn diejenigen, die normalerweise als Versager gelten, für Lemke aber Helden sind. Die Überlebenskünstler, die es in unserem affigen Bezirk immer noch gibt. Deshalb kommt der Münchener nach Berlin, um solche Typen wie Olivia Kundisch zu entdecken. Vielleicht, weil sie nicht korrumpierbar sind? So wie Lemke selbst eben.