Andrzej Zulawski: 1940-2016
Eine Erinnerung an den ranghöchsten Querulanten des Welt-Kinos! Am
16.2.2016 verstarb Zulawski in Warschau. Er hinterlässt eine Anzahl von
Filmen und Romanen, die gerade erst erforscht und (wieder)entdeckt
werden. Ein mehrsprachiger Universalgelehrter, ein Erbe der legendären
polnischen Familie aus Intellektuellen und Künstlern. Der in Paris
ausgebildete Regisseur und Autor war ein Mann von singulärer
Empfindsamkeit. Seine Virtuosität - unerreicht! Zulawskis Karriere
begann eng verbunden mit einem anderen polnischen Kino-Giganten: Andrzej
Wajda. Zulawski assistierte Wajda während mehrerer Projekte während der
frühen 60er. Nach zwei TV Produktionen realisierte er "The Third Part
of the Night" (1971). Eine neue unverwechselbare Stimme des Kinos betrat
die Bühne. Mehr als jedes andere Werk über die deutsche Besatzung
Polens wirkte Zulawskis Film wie ein fiebriger Traum - unmöglich, sich
davon loszureissen! The Third Part Of The Night beruht auf der
Biographie seines Vaters, der den Krieg überlebte, da er von der Nazi
Medizin-Forschung missbraucht wurde. Zulawskis Film, ein zutiefst
persönliches, brutales Symbol, welches Träume, Visionen und Bewegung
verbindet. Seinem kontroversen Debüt folgte “The Devil” (1972), der in
die Vergangenheit Polens des 18. Jahrhunderts eintaucht. Zulawski wurde
nach The Devil von den kommunistischen Behörden aus dem Land geworfen.
Er arbeitete 1975 weiter in Frankreich und es gelang ihm der enorme
Arthaus Erfolg "That Most Important Thing: Love" mit Romy Schneider und
Klaus Kinski. Zurück in Polen begann er mit seinem prachtvollsten
Projekt "On The Silver Globe", einer Adaption der gleichnamigen
Roman-Trilogie seines Onkels. Brutal wurde das Werk von den Behörden
erstickt, man hob eine Grube aus und verbrannte einen Teil des
Filmmaterials. Dem atheistischen Regime war On The Silver Globe zu
religiös. 1987 fügte man die verbliebenen Teile zu einem Fragment
zusammen, dass später Alexei Germans "Hard To Be A God" (2013)
beeinflussen sollte. Berühmt war Zulawski wegen der unvergessenen
Auftritte seiner Hauptdarstellerinnen (Małgorzata Braunek und Sophie
Marceau waren ausserdem seine Lebenspartnerinnen und mit beiden hatte er
Kinder). Zulawski war von Frauen fasziniert, schrieb ihnen mehr
Spiritualität und Sinnlichkeit zu als den Männern - eine tief
romantische Pose, ganz in der Tradition der polnischen Dichtung des
frühen 20. Jahrhunderts: Die Frau als Medium des Unbekannten, des
Ätherischen - so wie Romy Schneiders Charakter in "That Most Important
Thing: Love". Der grösste Auftritt aber gebührt Isabelle Adjani in
“Possession” (1981)! Zulawskis Meisterwerk, das eine unheimliche
wuchtige Kraft versprüht! Die Geschichte einer Trennung, die in einem
schrecklichen Trugbild des Mannes entfesselter weiblicher Sexualität
mündet, spielt in West-Berlin und verarbeitet Zulawskis eigene Trennung
von Małgorzata Braunek. Possession bietet zwei Szenen, die man gesehen
haben muss, um sie überhaupt zu glauben: In der ersten erleben wir
Isabelle Adjani bei einem ritualisierten Anfall gegen den Linda Blair in
The Exorcist wie aus dem Kinder TV wirkt. In der zweiten hat Adjani Sex
mit einem Oktopus, den Carlo Rambaldi erschuf. Noch Jahre später konnte
Possession als "Video Nasty" nicht bezogen werden. Zulawskis Arbeiten
während der 80er werden leider weniger gesehen, obwohl einige seiner
stärksten Filme in diese Zeit fallen. So sein 85er (unerhört lustiger)
Action Film "L'Amour Braque" (Mad Love), der seine erste Zusammenarbeit
mit Sophie Marceaux markiert, als auch “Boris Godunov” (1989). Boris
Godunov - wohl eine der eigendsten Adaptionen, die je gemacht wurden
(Zulawski mischt die Sänger mit der Filmcrew als Bearbeitung von Modest
Mussorgskys Klassiker)! Nach der desaströsen Rezeption von "Szamanka"
(1996) - einem weitesgehend missverstandenen Film, stellte Zulawski nur
noch zwei weitere fertig (mit einer Pause von 15 Jahren): “La Fidelite”
(2000), eine meisterliche Adaption des Romans “La Princesse de Clèves”
aus dem 17. Jahrhundert, die in die Gegenwart überführt wird, sowie
"Cosmos" (2015), der mit Zulawski Themen spielt, die aber diesmal fast
als Komödie dargeboten werden. Cosmos gewann das Filmfestival in Locarno
(Best Director) und fand dadurch einen amerikanischen Verleiher. Hier
in Berlin lief Cosmos parallel zur Berlinale auf dem Filmfestival in den
Hackeschen Höfen und ging als witzigster Film aus dem Rennen.
Unabhängig davon, dass Zulawski als Querulant und Bilder-Virtuose gilt,
verstehe ich ihn als warmherzigen und verführerischen Künstler. In
Interviews können wir ihn als gelehrten Plauderer erleben und als
ausgewiesenen Film Nerd. Zulawski war aber vor allem eine verzweifelte
Seele, die nach Gnade fleht. Das verbindet Filme wie The Third Part Of
The Night und Possession. Langsam erschliesst sich sein Werk in DVD
Ausgaben. Was war das für ein Kampf während der Gründung der Videothek!
Possession kaufte ich als brasilianischen Import, On The Silver Globe
als polnische DVD. Schliesslich der Durchbuch! Das winzige Label Mondo
Vision brachte die wunderschöne Edition von La Femme Publique, L'Amour
Braque, Szamanka und sogar L'Important C'est D'Aimer. (L'Amour Braque
wurde übrigens in Deutschland unter dem bekloppten Titel "Meine Nächste
sind schöner als deine Tage II" von Movie Power vermarktet.) Die Cover
stehen derzeit zum Bestaunen in unserer Zulawski Retro im Laden. Dickes
Lob auch an das deutsche Label Bildstörung, das Possession in einer
genauso wundervoll aufgemachten Ausgabe zur Verfügung stellen wie die
von Mondo Vision. La Note Bleue (1991), mit Sophie Marceau über die
letzten Tage im Leben von Chopin, stellen wir leider nur als Frankreich
Import zur Verfügung. Wir haben aber einen Süd-Koreaner als Kunden, der
des Französischen nicht mächtig ist und dennoch sämtliche unserer aus
Frankreich beschafften Mizoguchi Filme leiht, um akribisch die
französischen Untertitel zu übersetzen. Es ist wohl das Mindeste, es ihm
gleich zu tun, um diese Zulawski Lücke zu schliessen?! Ganz viel Spass
mit unserer Zulawski Ecke und nicht böse sein, wenn wir diese wertvollen
DVDs unter strenger Kontrolle herausgeben (irgendein Affe hat
Possession nicht zurück gebracht und bei dem werde ich demnächst bei ihm
vor der Tür stehen, um die Ware zurück zu fordern).
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