Cinema Coming Soon 10.3. Son Of Saul
Von Ferne kommt uns eine Gruppe aus dem Wald entgegen. In dem Moment, da
sie fast im Rahmen der Kamera erscheinen, tritt ein Mann heraus. Ihm
weicht die Kamera ab sofort nicht mehr von der Seite. Sie wird sich
während des gesamten Films nur seiner Person annehmen. Alles andere
verschwindet hinter ihm: Saul Ausländer (Geza Röhrig) ist ungarischer
Jude und Häftling in Ausschwitz-Birkenau. Er gehört zu einem
Sonderkommando, dass die Deutschen bei ihrem Vernichtungswerk
unterstützt. Wir erleben, wie ein neuer Zug ankommt und die Häftlinge zu
den vermeintlichen Duschen ins Gas geführt werden. Saul muss den
Menschen den Weg weisen und ihnen beim Auskleiden helfen. Schliesslich
nimmt er ihre Wertsachen an sich und entsorgt die "Teile", die Reste
ihrer Körper. In einem Kind, das das Zyklon B überlebt hat, erkennt Saul
seinen Saul. Er muss mit ansehen, wie ein Arzt das Kind erstickt. Ab
diesem Moment verfolgt Saul nur noch ein Ziel: Der Junge soll nicht
ausgeweidet und verbrannt werden. Er will ihn nach jüdischem Ritual
beerdigen. Dazu braucht Saul einen Rabbi und die Hilfe der
Mitgefangenen. Während die anderen Insassen einen Aufstand planen, hat
Saul längst alle Hoffnungen fahren lassen. Saul fühlt, dass sie alle
bereits tot wären. Ob das Kind tatsächlich sein Sohn war, bleibt offen.
Es macht aber auch keinen Unterschied, denn für Saul bedeutet den
Leichnam zu begraben vor allem ein Streben nach Sinnhaftigkeit. Mit
voller Wucht, mit voller Härte trifft uns das Werk und macht den Alltag
im KZ anhand der rigorosen Fokussierung auf die Person Saul fast
physisch spürbar. Am Ende scheint die Zeit immer schneller abzulaufen
für alle Häftlinge. Hunde bellen, Kinder schreien, Gewehrschüsse,
hochschlagende Flammen. Die Kamera aber verharrt treu auf Saul, dass wir
uns um ihn sorgen, obwohl wir ihn kaum kennen. So wie er seinen Sohn
kaum gekannt hat.
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